"Es müssten sich mehr Menschen vorstellen können, dass es möglich ist"

In einem Interview spricht die Umweltpsychologin Prof. Dr. Ellen Matthies über ein noch junges Forschungsgebiet und dessen Bedeutung für die Energiewende.

Portraitfoto Prof. Dr. Ellen Matthies

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Frau Prof. Matthies, Studien zum Verhalten der Menschen als Nutzer von Ressourcen und Energie gibt es noch nicht lange. Was haben Psychologen mit der Energiewende zu tun?

Mittlerweile ganz viel. Seit Einleiten der Energiewende im Jahr 2011 war klar, dass die Sozialwissenschaften eine wichtige Rolle bei der gemeinsamen Gestaltung der Energiewende spielen. Denn diese Energiewende, also der Ausstieg aus der Kernenergie und der Umstieg auf erneuerbare Energien, berührt uns einerseits als Bürgerinnen und Bürger, die eine bestimmte Politik mittragen und verstehen sollen, so etwa beim Netz- und Anlagenausbau. Aber auch als Stromnutzerinnen und -nutzer sind wir von den vielfältigen Veränderungen, die die Energiewende verursacht, unmittelbar betroffen. Wir müssen uns irgendwie zu den neuen Technologien verhalten, zu der Photovoltaikanlage auf dem Dach, zu Smart Metering und Smart Home bis hin zu neuen Tarifen, die unser Nutzungsverhalten beeinflussen und uns das Stromsparen erleichtern sollen. Hier kann die Psychologie als Verhaltenswissenschaft einiges zum gegenseitigen Verständnis und zur Steuerung von Prozessen beitragen.

Was sind Ihrer Ansicht nach die Gründe für Bürgerproteste oder Verweigerungshaltungen wie beim Kauf von Elektroautos, wie tickt der Bürger beim großen Thema Energiewende?

Die Untersuchung der Akzeptanz von strukturellen Veränderungen ist ja nur einer von zwei Schwerpunkten, mit denen wir uns als Umweltpsychologen befassen. Mindestens ebenso wichtig ist die Frage, wie wir Verhaltensänderungen im Umgang mit Strom und Energie allgemein ermöglichen können. Was die „Akzeptanz“ betrifft, gilt es, die Kontroversen in ihren vielen Dimensionen zu verstehen. Jeder Konflikt hat seine eigene Geschichte. Die psychologische Forschung hat aber gezeigt, dass es Faktoren gibt, die Konflikte fast immer begünstigen, etwa eine ungerechte Verteilung von Belastung und Nutzen. Im Umkehrschluss gibt es eben auch Faktoren, die befrieden können. Konflikte entstehen oft aus Störungen in einem Prozess, d. h. es ist im Verlauf des Verfahrens etwas geschehen, wodurch Misstrauen und Enttäuschung entstanden sind. Dem kann man entgegenwirken durch transparente Kommunikation und weitgehende Einbindung von Bürgerinnen und Bürgern. Mitglieder meines Teams arbeiten zum Beispiel als Ausbilder im Bereich der Umweltmediation. Wir wissen, dass es hier aktuell und künftig Tätigkeitsfelder für unsere Absolventinnen und Absolventen gibt. Daher integrieren wir das Thema Mediation auch in die Ausbildung im Masterstudiengang Psychologie beim Schwerpunkt Umweltpsychologie/Mensch-Technik-Interaktion.

Sie und Ihr Team untersuchen seit vielen Monaten im Großprojekt ENERGY-TRANS auch auf internationaler Ebene Nutzerverhalten und Möglichkeiten, dieses zu beeinflussen. Welche Forschungsergebnisse haben Sie überrascht?

Überraschungen erleben wir oft, weil Erwartungen, die wir aus der Theorie ableiten konnten, dann doch nicht zutrafen. So hatten wir, gestützt auf gängige Motivationstheorien, eigentlich erwartet, dass Bürger eher bereit sind, sich aktiv am Klimaschutz zu beteiligen, wenn sie mehr Informationen zu den ökologischen Folgen ihres Handelns haben, als wenn wir ihren Beitrag zum Umweltschutz in gesparten Euro angeben. Das Ergebnis der Studie zeigte aber, dass beide Arten der Einbettung von Tipps das Stromsparen und damit das Klimaschutzverhalten fördern. Allerdings war die Gruppe, die die ökologisch begründeten Tipps erhielt, auch weiteren Energiewendemaßnahmen gegenüber aufgeschlossener, war bereit, auch längerfristig umweltfreundlich zu handeln. Das heißt, es lohnt sich, mit ökologischen Gründen für das Stromsparen zu werben, weil die Konsumentinnen und Konsumenten darin bestärkt werden, Energiewendemaßnahmen allgemein positiv zu sehen.

Eine andere Überraschung betrifft das Investitionsverhalten in Elektroautos. Hier hatten wir schon vorsichtig vermutet, dass die im Vergleich zu verbrennungsmotorgetriebenen PKW geringe Reichweite von Elektroautos stark überbewertet wird, sich diese Einschätzung aber ändert, wenn wir das Thema Reichweite in das Alltagsgeschehen einbetten und uns anschauen, wie häufig die Nutzer Schnellladestationen in Anspruch nehmen müssten. Sprich: Statt eine begrenzte Reichweite in Kilometern anzugeben und klare Limitierung zu zeigen, haben wir die alltägliche Nutzung in die Anzahl von Schnellladungen übersetzt. Allein die unterschiedliche Kommunikation desselben Tatbestandes führte zu einer größeren Akzeptanz. Elektroautos sind viel alltagstauglicher als wir annehmen, sie lassen sich nicht in das Raster von verbrennungsmotorgetriebenen PKW pressen. Und wenn wir das angemessen kommunizieren, steigt die Akzeptanz deutlich.

Wie finden Ihre Ergebnisse nun aber letztendlich Eingang in die Köpfe von Politikerinnen und Politikern, Netzbetreibern oder Bürgerinitiativen?

Köpfe sind ja mitunter eigenwillig und Menschen auf Direktoriumsebenen oder aus Verbänden sind selbst in mehr oder minder offene Netzwerke eingebunden. In diese Köpfe direkt hinein kommen wir nicht, so funktioniert Kommunikation ja nicht. Auf Bundesebene finden wir Gehör, da sind wir im strategischen Beratungsteam für die Bundesregierung. Auf kommunaler oder regionaler Ebene ist die Lage vielfältiger, aber auch hier werden wir zu Themen befragt oder in Reallabore eingebunden. Immer mehr Akteure suchen aktiv nach wissenschaftlicher Evidenz, lesen Fachzeitschriften oder besuchen entsprechende Tagungen, die von Ministerien oder Verbänden ausgerichtet werden. Oder lesen dieses Forschungsjournal und erfahren so von der Umweltpsychologie. Ich will sagen: Man muss raus aus der Universität und sich in Kontexte begeben, wo Akteure sich informieren, muss sich an Podiumsdiskussionen beteiligen, auch mal ins Fernsehen gehen, mit der Presse sprechen. Dazu muss man Themen oft vereinfachen, Botschaften in Geschichten verpacken. Das lernen wir als Wissenschaftlerinnen zu wenig.


Was müsste passieren, damit Deutschland global denkend, aber regional agierend nachhaltig handeln kann? 

Kurze Antwort: Es müssten sich mehr Menschen vorstellen können, dass es möglich ist. Wir müssen eine positive Vision wagen und uns am Wandel beteiligen, die Barrieren liegen nämlich nicht in den technischen Möglichkeiten, sondern in den Köpfen der Menschen.


Das ausführliche Interview mit Informationen zu weiteren Forschungsschwerpunkten von Prof. Dr. Ellen Matthies finden Sie im Forschungsmagazin Guericke ´16

Letzte Änderung: 09.07.2020 - Ansprechpartner: Webmaster