Forschung gegen Verschwendung

03.06.2020 -  

Verfahrenstechniker der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg wollen durch Computersimulationsmodelle bisher schwer kontrollierbare, aber sehr energieintensive Partikel-Produktionsverfahren besser beherrschbar und damit wesentlich energieeffizienter machen. Gemeinsam mit einem Forschungsteam der Uni Bochum entwickeln sie im Rahmen eines neuen Sonderforschungsbereiches erstmals exakte Berechnungsmodelle für den Einsatz von Energie und Ressourcen bei schwer zugänglichen Produktionsprozessen, zum Beispiel bei der Herstellung von Zement oder Keramik in Hochtemperaturöfen. Damit könnte der enorme Verbrauch fossiler Brennstoffe sowie der CO2-Ausstoß während dieser Partikel-Produktionsprozesse signifikant reduziert werden. Zurzeit fordern diese großindustriellen Verfahren bis zu 17 Prozent des deutschen Energiebedarfs.

In dem soeben von der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG mit fast 10 Millionen Euro bewilligten Sonderforschungsbereich/Transregio 287 „BULK-REACTION“ werden rund 40 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universitäten Magdeburg und Bochum aus den Ingenieurwissenschaften, der Informatik und der Physik innerhalb der nächsten vier Jahre gemeinsam aufwändige Computersimulationsmodelle entwickeln und diese anschließend durch experimentelle Messverfahren validieren. Als Sprecher des Projektes agieren Prof. Dr. Viktor Scherer, Inhaber des Lehrstuhls für Energieanlagen und Energieprozesstechnik an der Ruhr-Universität Bochum und Prof. Dr.-Ing. Dominique Thévenin, Inhaber des Lehrstuhls Strömungsmechanik und Strömungstechnik der Universität Magdeburg. 40 Prozent der Fördersumme werden der Universität Magdeburg für Forschungsarbeiten zur Verfügung stehen.

Den ökologischen Fußabdruck verkleinern

Bei so genannten thermischen Produktionsverfahren wie sie in Öfen bei der Weiterverarbeitung von Erzen und Baustoffen, bei der Produktion von Stahl, aber auch bei der Kaffeeröstung bzw. Trocknung von Tabletten stattfinden, werden die Partikel der zu verarbeitenden Grundstoffe, also des Kaffees oder der Medikamente, bewegt und von Gasen durchströmt. Die so ausgelösten chemischen Reaktionen sorgen für eine Weiterverarbeitung der Grundstoffe.

Das Problem dabei ist, dass die Berechnungen dieser chemischen Reaktionen bisher aufgrund der schieren Größe der Produktionsanlagen sowie der hohen darin vorherrschenden Temperaturen von bis zu 2000 Grad Celsius nur sehr ungenau sind. „Dadurch werde das Potenzial der Verfahren nicht ausgeschöpft, die Prozesse verlaufen suboptimal und es entstehen enorme Einbußen bei der Qualität der Produkte, z.B. beim Röstgrad von Kaffeebohnen, beim Energieverbrauch und der Nutzung fossiler Ressourcen“, so Prof. Dominique Thévenin, Co-Sprecher des Forschungsverbundes. Das mache Messungen schwierig bis unmöglich. „Wir wissen also genau, was da in den Ofen hineingeht und wir wissen ziemlich gut, was herauskommt. Aber wir wollen nun endlich auch reingucken.“

Um dieses Ziel zu erreichen, verfolgen die beiden Forscherteams einen neuen Ansatz: Sie koppeln numerische Berechnungen und computerbasierte Simulationen mit experimentellen Messtechniken, um die theoretischen Vorhersagen zu überprüfen und zu validieren. „Die Herausforderung bei der exakten mathematischen Beschreibung der Vorgänge in den hochtemperierten, geschlossenen Systemen besteht darin, trotz mehrerer Millionen vorhandener Partikel die Rechenzeit zu begrenzen“, erklärt der Verfahrenstechniker Thévenin. Nur dann werde es möglich sein, künftig Prozesse in großen Industriereaktoren von mehreren 10 Metern Höhe sinnvoll zu berechnen. Die Schwierigkeit bei den experimentellen Messungen resultiere hingegen aus den hohen Temperaturen dicht gepackter Partikel. „Um dieses Problem zu lösen, werden wir eher ungewöhnliche neue Messverfahren einsetzen, zum Beispiel Radartechnik, Positronen-Tomographie oder Magnetresonanz-Tomographie.“

Durch die Kombination aus numerischen Analysen mit neuartigen Messverfahren zur Vorhersage industrieller Prozesse steige die Qualität der Produkte, sinke der Anteil von Ausschuss und reduziere sich der Energieeinsatz. Die Wissenschaftler versprechen sich von ihrer Forschung, künftig auch erneuerbare Energieträger wie Wasserstoff oder Biomasse für diese großindustriellen Produktionsverfahren einsetzen zu können. „Unsere Motivation ist es, den CO2-Fußabdruck zu verkleinern“, so Prof. Thévenin. „Das kann uns nur gelingen, wenn wir alle physikalisch-chemischen Prozesse vollständig verstehen.“

 

Bilder zum Download:

Bild 1 // Quelle: Jana Dünnhaupt / Uni Magdeburg // Bildunterschrift: Prof. Dr.-Ing. Dominique Thévenin

Letzte Änderung: 17.01.2024 - Ansprechpartner: Katharina Vorwerk