Neue Brennstoffzelle für das Wasserstoff-Zeitalter
„Wasser ist die Kohle der Zukunft. Die Energie von morgen ist Wasser, das durch elektrischen Strom zerlegt worden ist. Die so zerlegten Elemente des Wassers – Wasserstoff und Sauerstoff – werden auf unabsehbare Zeit hinaus die Energieversorgung der Erde sichern.“ Philipp Kühne nickt. Ja klar kenne er dieses Zitat aus einem Roman von Jules Verne. 1875 erschien dessen „Geheimnisvolle Insel“, auf der fünf Männer stranden. Hauptsächlich die wissenschaftlichen Kenntnisse des Ingenieurs Cyrus Smith sichern ihnen das Überleben – und sorgen bis heute für Respekt; auch bei Kühne und seinen Wissenschaftler-Kollegen aus dem Brennstoffzellenlabor der Otto-von-Guericke-Universität. Philipp Kühne, Michael Wenske, Christian Rinne und Martin Wolter forschen am Lehrstuhl für Elektrische Netze und Erneuerbare Energie der Uni Magdeburg – und befassen sich quasi mit der praktischen Umsetzung der visionären Idee von Jules Vernes. Die ist 145 Jahre alt.
Warum wird der Wasserstoff erst jetzt – als Antreiber der Energiewende – so richtig populär? „Die Elektrolyse braucht Strom, das macht sie so teuer; teurer als die Förderung von Kohle und Erdöl; teurer als die Erzeugung von Kernenergie“, erklärt Professor Martin Wolter, Leiter des Lehrstuhls. Darum werde speziell der „grüne“ Wasserstoff, erzeugt aus natürlich vorkommenden Energiequellen wie Wind und Sonne, den Weg zu einer klimaneutralen Energieversorgung bereiten. Nach Jahren der Forschung und Entwicklung gilt der grüne Wasserstoff als ein Schlüssel zur Minderung der CO2-Emmission, zur effizienten Energieerzeugung und -nutzung.
Prof. Dr.-Ing. Martin Wolter (Foto: Jana Dünnhaupt / Uni Magdeburg)
Aus Brennstoffzelle wird Energiewandler
„Jetzt macht es richtig Spaß“ – die Wissenschaftler erleben wie seinerzeit Jules Verne eine Epoche des beschleunigten technischen Fortschritts. Insbesondere die Forschungen für eine umweltschonende Energieversorgung haben regelrechten Auftrieb. Bis 2030 will Deutschland den Ausstoß von Treibhausgasen um 55 Prozent im Vergleich zu 1990 verringern. Im Juni 2020 hat die Bundesregierung eine nationale Wasserstoffstrategie beschlossen. Deren Ziel ist, Deutschland zum weltweit führenden Ausrüster für moderne Wasserstofftechnologien zu machen. Das Institut für Elektrische Energiesysteme an der Otto-von-Guericke-Universität ist da ganz vorn mit dabei.
RE-FLEX heißt ein Forschungsprojekt, dessen Ergebnis der Prototyp einer neuartigen Brennstoffzelle sein soll. Die Bezeichnung „Energiewandler“ trifft‘s genau, was diese Brennstoffzelle kann: Sie wandelt Wasser durch Elektrolyse in speicherfähigen Wasserstoff um – und bei Bedarf den Wasserstoff zurück in elektrische und thermische Energie. Vereinfacht ausgedrückt: Die Brennstoffzelle als Energielieferant soll um die Funktion des Energiespeichers erweitert werden. Das spart Material und Kosten.
Das RE-FLEX-Projekt wird im Rahmen der „Forschung für eine umweltschonende, zuverlässige und bezahlbare Energieversorgung“ mit 1,3 Millionen Euro vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert. Dieser Energiewandler könne einen entscheidenden Beitrag zur Energiewende leisten, sagt Projektkoordinator Martin Wolter. Systeme, die elektrische Energie zwischenspeichern und dann wieder rückspeisen können, würden künftig in Energienetzen eine bedeutende Rolle spielen.
Dipl.-Ing. Micheal Wenske (li.) und M.Sc. Philipp Kühne (re.), wissenschaftliche Mitarbeiter am Lehrstuhl für Elektrische Netze und Erneuerbare Energie – Abteilung Brennstoffzellen, bei der Inbetriebnahme einer stationären PEM-Brennstoffzelle (Foto: Jana Dünnhaupt / Uni Magdeburg)
Energiespeicher wird dringend benötigt
Das Wissen um die Bedürfnisse speziell von Netzbetreibern bringt Martin Wolter von seiner beruflichen Station bei 50Hertz mit. Das Unternehmen sorgt für den Betrieb, die Instandhaltung, die Planung und den Ausbau des 380/220-Kilovolt-Netzes im Norden und Osten Deutschlands. „Die Netzbetreiber drängen auf neue Technologien, mit denen sie Strom etwa aus überschüssiger Wind- und Solarenergie speichern und das Netz besser stabilisieren können“, sagt Martin Wolter. Ein weiteres – wenn auch in der Leistung deutlich kleineres, dennoch attraktives Anwendungsfeld – seien Notstromaggregate. Die werden in der Regel mit Diesel betrieben und müssen regelmäßig gewartet, getestet und neu betankt werden. Das verursache hohe Betriebskosten. „Aufgrund der kleinen Dimensionierung der Tanks müssen Wochenend- und Schichtzulagen gezahlt werden, was die Personalkosten erhöht“, weiß Wolter. „Die reversible Brennstoffzelle kann solche Systeme ersetzen und dabei helfen, Kosten und Kohlendioxid einzusparen.“
Grundlage für die moderne Energiespeichertechnologie ist eine Membran-Elektroden-Einheit, die mittels eines neuartigen Sauerstoffkatalysators sehr effizient arbeitet, da eine höhere elektrochemische Aktivität erreicht werden könne, erklären die Wissenschaftler. Die fachliche Bezeichnung für dieses System ist PEM-URFC. PEM steht für „Proton Exchange Membrane“ und URFC für „Unitized Regenerative Fuel Cell“. Das System funktioniert emissionsfrei und liefert als einziges Nebenprodukt reines Wasser. Und es ist kostensparend, da es für die Hin- und Rückreaktion denselben Zellenstack benutzt. Im Brennstoffzellenlabor der Otto-von-Guericke-Universität wurde gemeinsam mit Projektpartnern ein Zellsystem für eine einzelne Zelle entwickelt. An dem konnte experimentell nachgewiesen werden, dass diese Membran-Elektroden-Einheit grundlegend funktioniert. Jetzt will das RE-FLEX-Team ein Labormuster herstellen, an dem die Funktionsweise auch in einer Anordnung von fünf Zellen zu einem Zellenstack nachgewiesen wird. Denn hier werden an die Medienversorgung und an das Wassermanagement höhere Anforderungen gestellt.
Prüfung der neuartigen reversiblen Membran für Brennstoffzellen (Foto: Jana Dünnhaupt / Uni Magdeburg)
An einem eigens dafür eingerichteten neuen Teststand wird in verschiedenen Verfahren der Zellenstack unter anderem nach seiner chemischen Stabilität, seiner energetischen Effizienz und stabilen Betriebsführung bewertet, wobei auch die Alterungseffekte unter Beobachtung stehen. Mit dem Ziel, das Labormuster zu einem vermarktungsfähigen Produkt weiterzuentwickeln, steht selbstredend auch eine umfangreiche Wirtschaftlichkeitsprüfung an, aus der sich mögliche Anwendungsszenarien ergeben. Die Tests sollen am Ende zu Strategien führen, die einen zyklenfesten Betrieb der reversiblen Brennstoffzelle gewährleisten. Wenn dies sichergestellt ist, kann das System Strom aus erneuerbaren Energien in Form von Wasserstoff speichern und wieder zu elektrischer Energie umwandeln. Alles in einem System, das seinen Beitrag zu einem sichern Netzbetrieb leisten kann.
Im nächsten Schritt, so Wolter, werde der Prototyp „ins Feld gestellt“. Soll heißen: Mit im Boot der Forscher sitzt ein Verteilnetzbetreiber in Norddeutschland. Der nimmt die „Unitäre reversible PEM-Brennstoffzelle für die flexible Energiespeicherung“, so ihr Arbeitstitel, in den Testbetrieb unter realen Bedingungen. Weitere Wegbereiter für ein gutes Gelingen sind dem RE-FLEX-Team Verbundpartner aus Wisseschaft und Wirtschaft. Das Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie ICT in Pfinztal entwickelt die Membran-Elektroden-Einheit. Die balticFuelCells GmbH in Schwerin ist für den Aufbau des mehrzelligen Zellenstacks verantwortlich und die inhouse engineering GmbH in Berlin sorgt mit langjähriger Erfahrung im Bereich Systemverfahrenstechnik für den sicheren Betrieb des reversiblen Zellenstacks.
Apropos Boot. Jules Verne holte sich im Vorfeld seiner Abenteuerromane Naturforscher und Erfinder mit ins sprichwörtliche Boot. Die inspirierten ihn zu seinen futuristischen Ideen und berieten ihn fachlich. So nahm er mit viel wissenschaftlicher und technischer Intuition manch später realisierte Entwicklung vorweg – wie eben die Zerlegung des Wassers. „… Wasserstoff und Sauerstoff werden auf unabsehbare Zeit hinaus die Energieversorgung der Erde sichern.“
„Zwar ist die Erzeugung von Wasserstoff immer noch teurer als Erdgas, aber in den Endanwendungen ist die Kraft-Wärme-Kopplung hocheffizient“, sagt Philipp Kühne. Das heißt, ein Gebäude lässt sich nicht nur mit Strom versorgen, sondern auch im Winter beheizen und im Sommer kühlen. So sollen in ganz realer Zukunft auch Bürobauten, Gewerbegebiete und normale Haushalte den Wasserstoff selbst erzeugen und nutzen können – umwelt- und kostenverträglich.
Wussten Sie, dass ...
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von Kathrain Graubaum