Wie es aktuell um die Corona-Forschung steht

09.04.2021 -  

Jeden Tag gibt es in den Medien neue Meldungen über die unterschiedlichen Impfstoffe gegen das Corona-Virus und immer mehr Impfstoffe sind in der Zulassung oder kommen auf den Markt. Den Überblick zu behalten, fällt da schwer. Seit vielen Jahren befasst sich Prof. Tüting, Leiter der Universitätshautklinik und Prodekan für Forschung an der Medizinischen Fakultät, experimentell-wissenschaftlich mit genetisch hergestellten, rekombinanten Impfstoffen für Krebserkrankungen. Im Dezember 2020 hat er zusammen mit Oberarzt Dr. Robert Vetter die Verantwortung für die Organisation und Durchführung der Covid19-Impfambulanz für Mitarbeiter:innen der Universitätsmedizin Magdeburg übernommen. Wir haben mit ihm über die aktuelle COVID-Forschung gesprochen und ihm die wichtigsten Fragen zur aktuellen Impfsituation gestellt.


Immer mehr Impfstoffe kommen auf den Markt oder stehen kurz vor der Zulassung. Können Sie uns einen kurzen Überblick über die wichtigsten 3 geben – was sie unterscheidet und wie sie wirken?

Die globale Herausforderung der COVID-19 Pandemie hat die Entwicklung zahlreicher neuer Impfstoff-Formate von vielen verschiedenen Firmen angeregt. Bereits angewendet werden 3 Impfstoff-Kandidaten. Als erstes zugelassen wurden zwei mRNA-Impfstoffe der Firmen Biontech und Moderna. Bei diesen Impfstoffen handelt es sich um synthetisch im Labor hergestellte Partikel, die ähnlich wie das SARS-CoV-2 Virus selbst die Erbinformation für das Eiweiß der Oberflächen-Struktur des Virus in den Organismus einbringen. In der Folge wird dieses Eiweiß von Körperzellen gebildet und vom Immunsystem als sogenanntes Antigen erkannt. Diese mRNA-Impfstoffe wirken also wie künstliche Viren.

Der dritte, kürzlich zugelassene Impfstoff der Firma AstraZeneca ist ein sogenannter Vektor-Impfstoff und besteht aus einem genetisch im Kern veränderten, äußerlich intakten, für den Menschen harmlosen Erkältungsvirus von Schimpansen. Es bringt ebenfalls die Erbinformation für das Eiweiß der Oberflächen-Struktur des SARS-CoV-2 Virus in den Organismus ein und stimuliert so eine Antwort des Immunsystems. Es kann sich selbst dabei nicht mehr vermehren. Ein weiterer, ähnlicher Vektor-Impfstoff der Firma Johnson & Johnson wurde kürzlich zugelassen. Dieser Impfstoff ist bereits nach einer Gabe wirksam.

Nach aktuellen Angaben der WHO befinden sich weitere 86 Impfstoff-Kandidaten in klinischen Studien am Menschen und darüber hinaus noch 186 in der vorklinischen Entwicklung (Aufruf der Webseite am 6.4.2021). Hierbei werden weitere Impfstoff-Arten verwendet, darunter Konstrukte aus künstlich hergestellten Eiweißen und inaktivierte SARS-CoV-2 Virus-Partikel.

Welcher der Impfstoffe ist denn für wen am besten geeignet?

Die Zulassung der verschiedenen Impfstoff-Kandidaten von den Behörden beschränken die Anwendung. So wurden die Studien bislang vorwiegend mit Erwachsenen Probanden durchgeführt. Studien mit Kindern haben erst vor kurzem begonnen. Für die Schwangerschaft und die Stillzeit liegen bei keinem der Impfstoffe ausreichende Daten vor. Patienten mit einer (sehr seltenen) Allergie gegenüber Polyethylenglykol sollten keine mRNA Impfstoffe bekommen, da Polyethylenglykol in den künstlichen Virus-Partikeln enthalten ist. Außerdem wurde zuletzt die Anwendung mit dem Vektor-Impfstoff der Firma AstraZeneca bei jüngeren Patienten nicht empfohlen, da in sehr seltenen Fällen Venenthrombosen nach der Impfung aufgetreten sind.

Ist es gesundheitlich bedenklich, wenn ich nach einer Impfung Fieber bekomme?

Wie bei jeder anderen Impfung, wird auch bei der Impfung gegen das SARS-CoV-2 Virus das Immunsystem angeregt. Häufig kommt es zu lokalen Schmerzen und Schwellungen im Bereich der Impfung, gelegentlich auch zu Lymphknotenschwellung. Stärkere Impfreaktionen ähneln einem grippalen Infekt mit allgemeinem Krankheitsgefühl, Fieber, Gliederschmerzen und Schüttelfrost. Eine Impfung völlig ohne Beschwerden ist selten. Die Impfrekationen sind meist mild. Sie dauern meist nur einen Tag, selten auch zwei Tage. Abhilfe schafft eine symptomatische Behandlung mit Entzündungshemmern wie Paracetamol oder Ibuprofen.

Aber es gibt Unterschiede zwischen den Impfstoffen:

Bei den mRNA-Impfstoffen von Biontech und Moderna treten bei der ersten Impfung meist nur geringe Nebenwirkungen auf, am häufigsten Schmerzen im Bereich der Impfung. Bei der Folgeimpfung treten gelegentlich Allgemeinreaktionen auf. In extrem seltenen Fällen sind akute allergische Reaktionen auf Polyethylenglykol beobachtet worden (ca. 5 mal bei 1 Million Impfungen).

Bei dem Vektor-Impfstoff der Firma AstraZeneca zeigen sich Grippe-ähnliche Allgemeinsymptome häufig schon bei der ersten Impfung, da es sich äußerlich um ein echtes Erkältungsvirus handelt. Die zweite Impfung verläuft meist mit nur geringen Beschwerden. In extrem seltenen Fällen sind akute Venenthrombosen beobachtet worden (ca. 7 mal bei 1 Million Impfungen).

Über Langzeitfolgen und die mögliche Auslösung oder Verschlechterung anderer Erkrankungen liegen aktuell für keine der Impfstoffe aussagekräftige Erkenntnisse vor.

Es besteht eine große Skepsis gegenüber dem Impfstoff von Astrazeneca – ist diese berechtigt?

Diese Skepsis begann mit den Ergebnissen in den ersten Zulassungsstudien. Dabei traten bei Probanden, die den Vektor-Impfstoff von AstraZeneca erhielten, etwas häufiger COVID-19 Erkrankungen auf, als bei Probanden, die einer der beiden mRNA Impfstoffe erhielten. Viel wichtiger ist aber der Schutz vor schweren Erkrankungsverläufen, die eine Behandlung im Krankenhaus erzwingen und auch zum Tod führen können. Soweit bisher bekannt, wirken hier alle aktuellen Impfstoffe ähnlich gut und verhindern schwere Verläufe fast vollständig. Bei der Gruppe der über 65-jährigen haben die mRNA Impfstoffe eine unerwartet gute Wirksamkeit gezeigt. In dieser Altersgruppe war die Studienlage für den Vektor-Impfstoff in den ersten Studien statistisch schlechter. Deshalb wurde den über 65-Jährigen zunächst eine mRNA Impfung empfohlen. Das sehr seltene Auftreten von Venenthrombosen nach der Impfung mit dem Vektor-Impfstoff von AstraZeneca hat die Skepsis verstärkt. Da diese Probleme vor allem bei jüngeren Patienten aufgetreten sind, wurde die Impfung mit diesem Impfstoff dann doch eher für die über 60-Jährigen empfohlen. In der Zusammenschau muss jedoch aufgrund der aktuell vorliegenden Erkenntnisse festgestellt werden, dass der Nutzen der Impfung mit dem Vektor-Impfstoff von AstraZeneca – nämlich der Schutz vor einer potentiell lebensbedrohlichen COVID-19 Erkrankung – das Risiko vor einer sehr selten auftretenden, schweren Nebenwirkung bei weitem überwiegt.

 

 

Können sich die Bürger:innen die Art des Impfstoffs aussuchen, mit dem sie geimpft werden?

Grundsätzlich ist zum aktuellen Zeitpunkt eine Berücksichtigung von persönlichen Vorlieben schwierig umzusetzen, da in den Impfzentrum oft nur ein Teil der verschiedenen Impfstoffe zur Verfügung stehen. Außerdem müssen die sich dynamisch entwickelnden Vorgaben der Bundesregierung bzw. der Ständigen Impfkommission beim Robert Koch-Institut berücksichtigt werden.

Warum sollten sich Bürger:innen aus Ihrer Sicht impfen lassen?

COVID-19 kann eine schwerwiegende Erkrankung sein, die einen Krankenhausaufenthalt erzwingen und gelegentlich mit dem Tod enden kann. Außerdem treten häufig langanhaltende gesundheitliche Beschwerden (Long-COVID) auf. Die bisherigen Behandlungsmöglichkeiten sind unzureichend. Durch die Impfung werden schwere Erkrankungsverläufe weitgehend verhindert. Außerdem wird hochwahrscheinlich auch die Ausbreitung des Virus eingedämmt.

Gibt es nach den ersten Massenimpfungen in den USA, Groß Britannien und Israel neue Erkenntnisse zu den Impfstoffen?

Die bisherigen Erkenntnisse haben gezeigt, dass alle aktuell verwendeten Impfstoffe sehr gut vertragen werden. Nur sehr selten traten unerwünschte Nebenwirkungen auf. Das Risiko einer akuten allergischen Reaktion war insgesamt sehr viel geringer als ursprünglich angenommen. Das sehr seltene Auftreten von Venenthrombosen muss noch weiter beobachtet und der Zusammenhang mit den Impfungen untersucht werden.

Erst Ergebnisse der Impfungen mit dem mRNA Impfstoff der Firma BionTech in Israel haben die gute Wirksamkeit bestätigt. Bei Geimpften wurden kaum schwere Erkrankungsverläufe und eine deutlich verminderte Ansteckungsfähigkeit beobachtet.

Ist man nach einer Impfung immun gegen das Virus?

Die Impfung führt zur Ausbildung von Antikörpern, die das Virus erkennen und neutralisieren. Außerdem werden Abwehrzellen gebildet, die Virus-infizierte Körperzellen erkennen und die Virusvermehrung behindern. Insofern wird eine „Immunität“ gegen das Virus aufgebaut. Diese Immunität verhindert schwere Krankheitsverläufe, kann aber eine erneute, oft kaum spürbare, milde Infektion der Schleimhäute im Nasen-Rachen-Raum nur bremsen. Nach einer Impfung kann man also sehr wohl noch einmal erkranken, aber mit einer sehr viel geringeren Wahrscheinlichkeit und mit deutlich geringeren Beschwerden. Außerdem wird man weniger ansteckend sein.

Wie wirken die Impfstoffe gegen die Mutationen des Virus?

Mutationen in der Erbinformation treten bei SARS-CoV-2 Viren häufig auf und sind nichts Ungewöhnliches. Durch die Mutationen kann auch das Eiweiß der Oberflächen-Struktur leicht verändert werden. Die durch die aktuellen Impfstoffe stimulierten Antikörper binden dann mit etwas verminderter Stärke. Gleichzeitig wird aber die Bildung von Abwehrzellen angeregt, die unvermindert wirksam sein sollten. Entsprechend wirken die Impfstoffe nach bisherigen Erkenntnissen auch gegen mutierte SARS-CoV-2 Viren, wenn auch ggf. etwas weniger effektiv. Sofern notwendig, können die mRNA Impfstoffe innerhalb weniger Wochen auf neue Mutationen angepasst werden.

Kann man nach der Impfung dennoch Überträger:in des Virus sein?

Wie oben dargelegt, vermindert eine Impfung die Vermehrung und Ausbreitung des Virus in infizierten Schleimhäuten. Eine Übertragung des Virus ist trotzdem möglich, wenn auch deutlich unwahrscheinlicher.

Mussten die Pharmaunternehmen bei der Entwicklung der Impfstoffe komplett bei null anfangen?

Die aktuell für die COVID-19 Impfung verwendeten Impfstoff-Arten auf der Basis von mRNA und von genetisch veränderten Erkältungsviren befinden sich seit vielen Jahren in der experimentellen Entwicklung zur Vorbeugung und Behandlung von Infektionen und Krebserkrankungen. Insofern sind die Methoden keineswegs neu. Überdies konnte bei der Entwicklung eines COVID-19-Impfstoffs auf Forschungsarbeiten aufgebaut werden, die bereits Impfstoffe gegen andere Coronaviren erprobt haben, beispielsweise gegen SARS-CoV-1 und MERS-CoV. Diese dem SARS-CoV-2 ähnlichen Coronaviren waren Auslöser der SARS-Epidemie 2002/2003 und der MERS (Middle-East-Respiratory-Syndrom)-Epidemie in 2012.

Was ist die größte Herausforderung bei der Entwicklung von Covid-19-Impfstoffen?

Die größte Herausforderung bei der Entwicklung von COVID-19 Impfstoffen besteht in der Durchführung effektiver klinischer Studien, in der die Sicherheit und die Wirksamkeit von Impfstoff-Kandidaten geprüft wird. Derartige Studien müssen an vielen Tausend Probanden durchgeführt und die Ergebnisse sorgfältig dokumentiert werden. Hierzu bedarf es zahlreicher hochspezialisierter Mitarbeiter und eine effiziente Organisation durch Führungskräfte mit Erfahrung in der Impfstoff-Entwicklung.

Wie läuft die Entwicklung eines Impfstoffes ohne Eilzulassung normalerweise ab?

Unter normalen Verhältnissen erfordert die Vorbereitung und Durchführung von klinischen Studien in den verschiedenen Phasen mehrere Jahre. Bei einer Eilzulassung werden die gleichen Studien mit der gleichen Anzahl an Testpersonen gefordert. Bei der Eilzulassung erfolgt die Bewertung der Ergebnisse schneller und es werden vorläufige Studienergebnisse mitbetrachtet. Weitere Informationen finden sich auf der Webseite des Paul Ehrlich Instituts.

Warum ging die Entwicklung diesmal so schnell?

Die vergleichsweise rasche Entwicklung neuer Impfstoffe gegen das SARS-CoV-2 Virus beruht im Wesentlichen auf vier Säulen:

  1. die über die letzten drei Jahrzehnte mit den Methoden der Gen-Technologie experimentell-wissenschaftlich entwickelten, innovativen Impfstoff-Verfahren (unter anderem auf der Basis von mRNA, rekombinanten Viren und rekombinanten Proteinen)

  2. die von der US-amerikanischen Regierung im Rahmen der „Operation Warp Speed“ finanziell geförderte, öffentlich-private Zusammenarbeit bei den großangelegten, effizient geführten, klinischen Studien, in denen die Sicherheit und die Wirksamkeit der Impfstoffe nachgewiesen werden konnte

  3. die Möglichkeit einer beschleunigten Zulassung durch eine Verschränkung der verschiedenen Phasen der klinischen Studien und durch ein laufendes Bewertungsverfahren der eingereichten Unterlagen durch die zuständigen Behörden („Rolling Review“)

  4. der Aufbau von Produktionskapazitäten für die Impfstoff-Herstellung sowie die Etablierung einer Infrastruktur für die Impfstoffverteilung und -applikation

 

Vielen Dank für das Gespräch!

Letzte Änderung: 21.04.2021 - Ansprechpartner: Webmaster