Jeder Ersti zählt

29.08.2018 -  

Ist das Erfolgsmodell duale Ausbildung am Ende, weil Berufspädagogen Mangelware sind? Was ist zu tun, um den Trend zu stoppen, und welche Rolle spielt dabei die Uni Magdeburg? Pressesprecherin Katharina Vorwerk hat mit dem Betriebspädagogen Prof. Klaus Jenewein über die derzeitige Schieflage gesprochen.

Portrait Prof. Klaus Jenewein (c) Harald Krieg

 

Das System der beruflichen Bildung wird als Rückgrat der Innovationsfähigkeit der deutschen Wirtschaft bezeichnet, leidet aber am akuten Lehrermangel. Wie ist die Situation?

Die berufliche Bildung in Sachsen-Anhalt befindet sich in einer beträchtlichen Schieflage: Technische Ausbildungsberufe verzeichnen dramatische Rückgänge an Auszubildenden, die Zahl der Abbrecher steigt enorm. Die Fachkräfteversorgung über Berufsausbildung wird langfristig nicht mehr funktionieren, wenn es nicht gelingt, neue Wege zu erschließen. Gleichzeitig geraten aber die berufsbildenden Schulen in die Defensive, weil innerhalb kürzester Zeit viele Lehrkräfte in den Ruhestand gehen: Von 329 Lehrkräften für Metalltechnik im Schuljahr 2015/16 werden 2030 nur noch 79 im Dienst sein; in Bau- oder Elektrotechnik sieht das ähnlich aus. Bisher zeichnet sich ab, dass das Land seine Ausbildungsverpflichtungen gegenüber der Wirtschaft nur noch schwierig wird absichern können.

Was bedeutet diese Situation für die Ausbildung von Berufsbildungspädagogen an der Uni Magdeburg?

Wir stehen vor der Herausforderung, die Absolventenzahlen in der Lehrerausbildung an der Uni zu verdoppeln. In den technischen Fachrichtungen wird das aber nicht reichen. Hier rechnen wir mindestens mit einem 5-fachen Absolventenbedarf.

Nur wenige Abiturienten wollen das Studium der Betriebspädagogik beginnen. Hat der Berufsschullehrer ein schlechtes Image?

Viele Abiturienten, die sich ein Lehramtsstudium vorstellen können, bevorzugen mit der Primar- und der Gymnasiallehrerausbildung Laufbahnen, die sie in ihrer Biografie kennengelernt haben. Dabei ist gerade das Berufsschullehramt nicht nur durch die Studienratslaufbahn interessant und umfasst Tätigkeiten beispielsweise in der dualen Berufsausbildung, der Fachschule für Technik oder im beruflichen Gymnasium. Das Lehramt ist eines der anspruchsvollsten und vielseitigsten Aufgabenfelder in unserem Bildungssystem. Leider bekommen unsere Abiturienten davon wenig mit.

Wie können wir das ändern?

Bislang haben die Hochschulen bei der Rekrutierung angehender Betriebspädagogen fast nur auf Absolventen allgemeinbildender Gymnasien geschaut. Inzwischen werden aber viele zum Studium berechtigender Abschlüsse an berufsbildenden Schulen vergeben. In Baden-Württemberg, zum Beispiel, werden mehr studienqualifizierende Bildungsabschlüsse an berufsbildenden Schulen erworben als an den allgemeinbildenden Gymnasien! Wir arbeiten seit einigen Jahren in Sachsen-Anhalt an der Entwicklung und dem Ausbau leistungsfähiger studienqualifizierender Bildungsmodelle wie dem beruflichen Gymnasium für Ingenieurwissenschaften. Auch Meister- und Technikerabschlüsse sind inzwischen der allgemeinen Hochschulreife gleichgestellt. Hier liegt ein großes Potenzial, Studierende mit einer beruflichen Bildungsbiografie zu gewinnen.

Das bedeutet eine sehr heterogene Studierendenschaft ...

Ja, aber wir müssen multiple Zugänge in das Lehramtsstudium schaffen und die Studierenden bei einem erfolgreichen Studieneinstieg begleiten! Wir haben bereits mit der Hochschule Merseburg einen Bachelorstudiengang ‚Ingenieurpädagogik‘ eingerichtet, der im Süden des Bundeslandes auch Studien­interessenten mit Fachhochschulreife an das Lehramt für berufliche Schulen heranführt. Auch Absolventen ingenieurwissenschaftlicher Bachelor- und Diplomstudiengänge finden bei uns den Weg in das Masterprogramm Lehramt an berufsbildenden Schulen. Diese speziellen Wege bedeuten natürlich eine viel stärkere Heterogenität, als wir das bisher gewohnt waren und wir haben bereits umfangreiche Maßnahmen zur Unterstützung dieser Studierenden eingeführt.

Welche Rolle spielt die Universität bei der Ausbildung von Berufspädagogen im Land?

Wir sind de facto zuständig für die Ausbildung von Berufsschullehrern für Sachsen-Anhalt. Dafür kooperieren wir bereits mit den Hochschulen Magdeburg-Stendal, Merseburg und mit der Uni Halle. Dennoch fehlen sowohl Studierende als auch Absolventen. Gemeinsam mit dem Land haben wir darum Maßnahmen ergriffen: Wir erweitern das Angebot an Fachrichtungen, entwickeln neue studienqualifizierende Bildungsprogramme an den Schulen und fördern Quereinsteiger in das Studium. Dennoch: Gerade in den technisch-beruflichen Fachrichtungen wird Sachsen-Anhalt jeden jungen Menschen brauchen, der für ein Lehramtsstudium gewonnen werden kann.

 

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Professor Jennewein.

 

Katharina Vorwerk

Letzte Änderung: 09.07.2020 - Ansprechpartner: Webmaster