Wenn dem Gehirn ein Licht aufgeht
Blaue LEDs sollen blinden Menschen helfen, wieder zu sehen und gehörlosen, wieder zu hören. Möglich machen kann das CortiGrid, eine von Magdeburger Neurobiologen, Ingenieuren und Physikern entwickelte neuartige MEMS-Folienelektrode, die auch Epilepsie oder sensorische Störungen nach einer Querschnittslähmung therapieren könnte. Sie ist ein ultradünnes, flexibles und entsprechend lichtdurchlässiges Substrat, in das eine Vielzahl von mikroskopischen LEDs eingebettet ist. Auf das Gehirn aufgebracht, steuert CortiGrid durch mikrobielle Lichtsensoren mittels optischer Stimulation Nervenzellen extrem selektiv – ein Verfahren, das als Optogenetik bezeichnet wird. Somit können zum Beispiel ganz gezielt Hirnareale angeregt werden, welche für Sinneswahrnehmungen wie hören, sehen oder tasten verantwortlich sind. Bisherige Neuroprothesen basieren auf elektrischer Stimulation. Mit diesen elektrischen Stimulationsverfahren können sie allerdings nicht spezifisch genug die Hirnareale aktivieren, um direkt im Gehirn schreiben zu können und so ausreichend komplexe Wahrnehmungen zu erzeugen, die verlorenen Sinne ersetzen könnten.
Mit der Optogenetik nutzen die Wissenschaftler nun eine Methode, die ihnen eine spezifischere Stimulation ermöglicht als bisher verwendete elektrische Verfahren. Durch eine optogenetische Gentherapie wird das Gehirn vor dem Einsatz der Neuroprothese für Licht empfindlich gemacht. Dann verwenden die Forscher ein Muster aus maßgefertigten blauen µLED-Lichtquellen, um hochkomplexe Informationen ins Gehirn einzuschreiben. Gleichzeitig können sie durch im Polymersubstrat integrierte hochsensitive Mikroelektroden Gehirnsignale messen und diese zur optimalen Abstimmung der Stimulation verwenden. Und genau das ist das Innovative an der neuen Technologie, dieses bidirektionale, also in beide Richtungen, Interagieren mit dem Gehirn, welches durch das Licht ermöglicht wird.
Foto: CortiGrid
Die hohe Dichte, mit der sich die Lichtquellen anordnen lassen und die genetische Präzision der Optogenetik eröffnen unzählige Möglichkeiten des Einsatzes von CortiGrid. Das interdisziplinäre Forscherteam erhofft sich, mit dieser Technologie in Zukunft die Wahrnehmung bei Blindheit oder Gehörlosigkeit zumindest zum Teil wiederherstellen zu können und Menschen zu helfen, die zum Beispiel nach einer Querschnittslähmung sensorische Störungen haben. Das Verfahren könnte aber auch in der optogenetischen Therapie von Epilepsie eingesetzt werden.
Ende 2017 wurde CortiGrid als innovativstes Vorhaben der Grundlagenforschung mit dem Hugo-Junkers-Preis für Forschung und Innovation aus Sachsen-Anhalt ausgezeichnet. CortiGrid soll jetzt im Gründungsvorhaben neuraLIDE von Dr. Michael Lippert (LIN) und Martin Deckert (OVGU) als Produkt auf den Markt gebracht werden.
Ines Perl