Von Priesterehen und Sittengerichten

29.12.2017 -  

Er begegnet uns als tiefgläubiger Weltenreformator und wortgewaltiger Bibelübersetzer, der Kirchen- ja, Weltgeschichte geschrieben hat. Doch der Wittenberger Professor Martin Luther hat auch, so Prof. Dr. Eva Labouvie, Geschlechtergeschichte geschrieben und beeinflusst die Männern und Frauen zugewiesenen gesellschaftlichen Rollen bis heute. GUERICKE'17 hat die Historikerin und Geschlechterforscherin nach ihrem Verständnis vom großen Reformator befragt.

Prof. Labouvie

Die Historikerin Prof. Dr. Eva Labouvie vor dem spätgotischen Schnitzaltar in der gotischen Wallonerkirche. 1524 predigte Luther hier. (Foto: Harald Krieg)

Sie gehen als Historikerin und Geschlechterforscherin oft auch den Rollen von Frauen in unterschiedlichen Zeiten und Zwängen nach, analysieren ihre gesellschaftlichen Aufgaben und Abhängigkeiten. Was reizte sie an dem mit Mut und Macht ausgestatteten Martin Luther?

Martin Luther ist eine Persönlichkeit, die aus dem heraus, was sie in Bewegung gebracht und katalysiert hat, schon viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zum Forschen und zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen gebracht hat. Ich selbst interessiere mich weniger für die Person Luthers als für seine Lehren und Ideen, insbesondere zur Rolle von Mann und Frau im neuen protestantischen Glauben und im alltäglichen Zusammenleben. Hier hat Luther vor dem Hintergrund seiner Kritik am zölibatären Leben der Priester, Mönche und Nonnen ganz neue Konzepte kreieren müssen. Er musste aber auch auf die Beteiligung von Frauen an der reformatorischen Bewegung reagieren: Die Reformatorinnen und die Frauen der Reformatoren leiteten aus der Bibel sowohl Positionierungen des eigenen Geschlechts als auch emanzipatorische Forderungen ab, die die bisherige Geschlechterordnung heftig in Frage stellten.

Sie sagen, er habe die Rollen von Männern und Frauen, Müttern und Vätern und die Vorstellungen von deren Zusammenleben neu definiert. Begann mit dem Thesenanschlag auch eine Gender-Reformation?

Das ist richtig. Dass Luther – und er war hier keineswegs der einzige Reformator – in seinen Ehelehren und seinen Schriften an den deutschen Adel, zum Teil auch in seinen Predigten und Tischreden, eine für seine Zeit neuartige Geschlechterordnung propagiert hat, ist augenfällig und wurde in der historischen und theologischen Geschlechterforschung leider bisher viel zu wenig thematisiert. Mit der neuen Glaubenslehre verband sich eine Neubewertung und starke Aufwertung der Ehe als der von Gott schon im Paradies gesetzten Ordnung der Geschlechter und als ‚ein weltlich Ding‘. Der Anerkennung der Stellung und Aufgaben der Ehefrauen, aber auch ihrer erstmaligen Bindung an Haushalt und Kindererziehung, stellte Luther zugleich die Stärkung des Einflusses des männlichen Familienoberhauptes zur Seite. Es handelte sich beim Idealbild Luthers vom Zusammenleben der Geschlechter – vor Augen hatte er hierbei das Pfarrhaus und die Pfarrersfamilie – also um eine erstmals in der Geschichte propagierte „Verhäuslichung“ der Frauen, das heißt, eine Zentrierung des weiblichen Lebens auf Haus, Familie, Kinder und Hausherrn und eine Konzentration der männlichen Rolle auf die des Alleinverdieners und Ernährers. In der Gesellschaft des 16. Jahrhunderts haben Mann und Frau gleichermaßen durch Arbeit auf dem Feld, in der Werkstatt oder durch Lohnarbeit zum Überleben der Familie beigetragen; Alleinverdiener oder Hausfrauen gab es höchstens im Hochadel. Eine neuartige protestantische Ehegesetzgebung sollte in Ehe- und Sittengerichten alternative Formen des Zusammenlebens wie Ehelosigkeit und Keuschheit, „wilde Ehen“ oder Prostitution abstrafen. Diese Neubewertungen bedeuteten keineswegs Emanzipation: Im Zuge der Reformation wurden die weiblichen Akteurinnen an den Rand der reformatorischen Bewegung und in die frühere hierarchische Geschlechterordnung gedrängt, sodass ihnen alsbald wieder und für lange Zeit der Zugang zu Ämtern, vor allem auch religiöser Art, verwehrt wurde. Lediglich der neue Stand als Pfarrersfrau erlaubte inoffizielle theologische oder kirchenpolitische Einflussnahme.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Glauben und dem Geschlecht? Sprich: Sind Frauen anders religiös beziehungsweise glauben Frauen anders?

Untersuchungen hierzu liegen für den anglo-amerikanischen Bereich und die Schweiz vor. Danach beten Frauen etwas häufiger, haben einen vielfältigeren Glauben, in den sie spirituelle Formen, Seelenwanderung, Geister oder die Heiligen stärker integrieren. In den Hauptfragen der jeweiligen Lehre ihrer Religion unterscheiden sich Frauen und Männer aber nur in wenigen Prozenten voneinander. Anders sieht das mit Aktivitäten im Ehrenamt oder im Gemeindeleben aus. Hier sind Frauen zu 70 Prozent vertreten. Allerdings ist bei solchen Zahlen Vorsicht geboten. Denn Glaube und Frömmigkeit werden seit Ausprägung der Geschlechtscharaktere im 18. Jahrhundert – Frauen sind emotional, häuslich, sozial und Männer sind rational, außerhäuslich, technisch – viel intensiver mit Frauen in Verbindung gebracht als mit Männern, weil es sich um weniger rationale denn emotionale und daher weiblich konnotierte Bereiche handelt. Diese gesellschaftlichen Zuschreibungen korrespondieren mit Selbstzuschreibungen der Geschlechter, etwa, wenn sich weit mehr Männer als Frauen zum Atheismus bekennen oder sich weit mehr Frauen mit den Anforderungen des Glaubens wie Demut, Verzicht oder Nächstenliebe identifizieren können als Männer.

Kircheninneres_Luther

Blick in das Kircheninnere auf den spätgotischen Schnitzaltar. (Foto: Harald Krieg)

Welche Auswirkungen haben die von Ihnen beschriebenen durch den Protestantismus zugewiesenen Aufgaben von Männern und Frauen bis heute?

Luther war letztlich der Vordenker eines Geschlechtermodells, das in Europa erst im 19. Jahrhundert, und hier auch zunächst nur im gehobenen Bürgertum, Eingang fand. Mit seiner Aufteilung der Sphären für Frauen in Haushalt und Kindererziehung und für Männer in die außerhäusliche Arbeitswelt lenkte er erstmals in der Geschichte den Blick in Richtung des späteren Konzepts vom männlichen Alleinverdiener und der weiblichen Zuverdienerin oder der „nur“ Hausfrau, das sich im 20. Jahrhundert in der westlichen Welt in allen Gesellschaftsschichten durchsetzte und bis heute Auswirkungen auf die Geschlechterhierarchien besitzt. Denken Sie nur an die gerade und immer noch geführte Diskussion um die Lohngleichheit bei gleicher Arbeit von Mann und Frau. Luthers Überbewertung der Ehe als einzig legitimer Form des Zusammenlebens prägt in Deutschland bis heute unsere juristische Definition von Familie als dem verheirateten Paar unter Ausklammerung beispielsweise von Alleinerziehenden oder gleichgeschlechtlichen Ehen vom Familienbegriff.

Gibt es etwas, das Sie Martin Luther gern fragen würden? Bleiben für Sie nach der Beschäftigung mit seiner Rolle für die Geschlechterforschung noch Fragen offen?

Da die Forschung bei der grundlegenden Frage nach der Wichtigkeit der Reformation für die Geschlechterfragen und –ordnungen erst am Anfang steht, bleiben noch viele Fragen offen. Martin Luther hätte ich gern gefragt, weshalb er nach seinen eigenen berühmten „Sola-Prinzipien“, hier vor allem nach dem Prinzip der „Sola-Scriptura“, was meint, dass nur das, was in der Bibel steht, gilt, die von vielen Frauen in der reformatorischen Bewegung so vehement propagierte und anhand der Heiligen Schrift immer wieder bewiesene Gleichheit von Mann und Frau vor Gott und im Glauben nicht akzeptieren konnte. Auch hier, wie in seinem Bild von Juden und „Türken“, also Muslimen, bleibt Luther Kind seiner Zeit.

Frau Professor Labouvie, vielen Dank für das Gespräch!

 

Katharina Vorwerk

Letzte Änderung: 09.07.2020 - Ansprechpartner: Webmaster