#17: Du bist, was du isst!

Der Darm, in dem sich gut zwei Kilogramm unterschiedlichster Bakterien tummeln, nimmt nicht nur Einfluss auf die Verdauung, sondern auch auf unsere Hirnfunktionen und ist ein wichtiger Bestandteil unseres Immunsystems. Der Austausch zwischen Bauch und Kopf erfolgt dabei über die sogenannte Darm-Hirn-Achse in beide Richtungen. Über diese Wechselwirkung, wie und welche Bestandteile unserer Ernährung Einfluss auf das Gehirn haben und was passiert, wenn unser Mikrobiom aus dem Gleichgewicht gerät – darüber spricht der Neurologe Prof. Dr. med. Aiden Haghikia im Podcast.

 Heute zu Gast

Prof. Dr. med. Aiden Haghikia ist der Direktor der Universitätsklinik für Neurologie in Magdeburg. Gemeinsam mit seinem Team erforscht der Neurologe den Einfluss der Ernährung und des Darm-Mikrobioms auf das menschliche Gehirn, genau genommen auf die Mechanismen, die zum Absterben von Nervenzellen des Gehirns bei chronisch-entzündlichen und neurodegenerativen Erkrankungen wie Multipler Sklerose (MS) oder Parkinson führen. Ziel ist die Entwicklung neuer Therapien. 

 

Der Podcast zum Nachlesen

 

Intro-Stimme: Wissen, wann du willst. Der Podcast zur Forschung an der Uni Magdeburg.

Friederike Süssig-Jeschor: Du bist, was du isst. Dieser Satz kommt nicht von ungefähr. Im menschlichen Darm tummeln sich Trillionen von Mikroorganismen. Heute wissen wir, dass unser Darm viel mehr kann als nur Nahrung zu verwerten. Es ist das Zentrum unseres Immunsystems und die Vielzahl an Mikroben haben auch Einfluss auf die Entwicklung, Funktion und Gesundheit unseres Gehirns.

Über diese Wechselwirkung, welchen Einfluss unsere Ernährung auf das Gehirn hat und was passiert, wenn unser Mikrobiom aus dem Gleichgewicht gerät, darüber wollen wir mit unserem heutigen Gast reden. Das ist Prof. Dr. med. Aiden Haghikia. Er leitet die Universitätsklinik für Neurologie in Magdeburg und beschäftigt sich in seiner Forschung mit der Hirn-Darm-Achse und deren Einfluss auf die Entstehung sogenannter neurodegenerativer Erkrankungen.

Mein Name ist Friederike Süssig-Jeschor, ich bin Pressesprecherin an der Medizinischen Fakultät der Uni Magdeburg. Professor Haghikia, ich freue mich, dass Sie da sind. Herzlich Willkommen!

Prof. Dr. med. Aiden Haghikia: Vielen Dank für die Einladung.

Friederike Süssig-Jeschor: Ich darf Ihnen zum Einstieg verraten, dass ich heute Morgen eine große Schüssel Müsli hatte zum Frühstück. Und mich würde jetzt interessieren, was gab es denn bei Ihnen?

Prof. Dr. med. Aiden Haghikia: Eine Tasse Kaffee und ein Glas Wasser gab es bei mir.

Friederike Süssig-Jeschor: Oh, das ist aber überschaubar. Sie frühstücken also nicht?

Prof. Dr. med. Aiden Haghikia: Die Uhrzeit ist ein bisschen früh, wenn ich zur Arbeit fahre. Und das ist mir ein bisschen zu früh zum Frühstücken. Das heißt, meine erste Mahlzeit, einen Apfel oder eine Banane esse ich dann um 10 Uhr etwa.

Friederike Süssig-Jeschor: Aha. Jetzt würde mich natürlich brennend interessieren, wer von uns nun die bessere Wahl mit Blick auf unsere Gehirn-Gesundheit getroffen hat, aber immer der Reihe nach. Herr Professor Haghikia, mehr als 15 Jahre forschen Sie auf dem Gebiet der neurodegenerativen Erkrankungen wie Parkinson und Multipler Sklerose. Können Sie unseren Zuhörern nochmal erklären, was genau darunter zu verstehen ist?

Prof. Dr. med. Aiden Haghikia: Die Neurodegeneration beschreibt das Zellsterben von Gehirnzellen. Das heißt von Nervenzellen. Das kann bestimmte Regionen im Gehirn betreffen, kann aber auch ganze Systeme betreffen, das heißt überall dort - wir haben ja alle eine Art Gehirnschwund - das heißt, wenn wir altern. Das wird meistens kompensiert durch andere Mechanismen, es wird aufgefangen. Unser Gehirn ist ja sehr plastisch, kann viele Dinge neu lernen - wenn diese Mechanismen nicht mehr greifen. Und wenn das Zellsterben überwiegt, dann kommt es erst zu einer Erkrankung, was man ja auch als Neurologe/ Neurologin dann auch identifiziert und möglicherweise behandelt.

Friederike Süssig-Jeschor: Und speziell diese beiden Erkrankungen? Wo liegt da der Unterschied zum Beispiel zwischen MS und Parkinson?

Prof. Dr. med. Aiden Haghikia: Die Multiple Sklerose und die parkinsonsche Erkrankung haben eine Gemeinsamkeit, dass es bei der Endstrecke der Erkrankung zum Zellsterben kommt, zum Nervenzellsterben. Die Ursachen, die Auslöser sind sehr unterschiedlich. Bei der MS, kennen wir die Auslöser, das heißt, die befinden sich außerhalb des Gehirns. Das ist das Immunsystem oder die Entzündungszellen. Das heißt, der initiale Auslöser kommt vom Immunsystem im Kontext einer Autoimmunerkrankung, die sind gerichtet gegen die Nervenzellen und deren Nervenscheiden im Gehirn. Bei der parkinsonschen Erkrankung ist das anders. Da kennen wir die Auslöser und die Ursachen nicht. Lange haben wir die im Gehirn vermutet, wissen aber heute, dass es nicht der Fall ist.

Friederike Süssig-Jeschor: Nochmal in Zahlen ausgedrückt für alle Zuhörer: Schätzungsweise 500.000 Menschen leiden unter einer Parkinson Erkrankung in Deutschland und noch mal 240.000 Menschen leben mit einer MS in Deutschland. Allein bei der MS hat sich die Zahl der Erkrankten in den vergangenen 40 Jahren verdoppelt, Tendenz steigend. Und viele werden auch immer jünger. Nun haben Sie es ja schon kurz angerissen: Was ist über die Ursachen dieser Erkrankungen bereits bekannt und wie erklären Sie sich vor allem diese Entwicklung?

Prof. Dr. med. Aiden Haghikia: Wir haben bei der MS zwei Ursachen, warum das steigt. Das eine ist, dass wir die MS viel früher und schneller identifizieren können. Wir sehen aber einen Trend bei allen Autoimmunerkrankungen, wie bei der rheumatoiden Arthritis, wie bei der Schuppenflechte also Psoriasis, aber auch Diabetes mellitus, dass diese Erkrankungen ansteigen. Wir verstehen nicht genau, warum das so ist. Wir haben mehrere Vermutungen.

Da komme ich nachher dazu - mit der Ernährung und mit dem Darm, welche Veränderungen wir gerade durchmachen. Bei der Parkinson-Erkrankung, da ist die Erkrankung lange als die Erkrankung des alten Menschen angesehen worden. Dadurch, dass die Gesellschaft insgesamt älter wird, treten solche Erkrankungen natürlich häufiger auf.

Friederike Süssig-Jeschor: Sie haben gerade erwähnt, dass man lange Zeit die Ursache in erster Linie im Gehirn vermutet hat, speziell bei der parkinsonschen Erkrankung, sich das aber als Sackgasse herausgestellt hat. Auch mit Blick auf diese genannten Betroffenen-Zahlen, die ja sehr hoch sind, wurde hier sprichwörtlich zu lange auf das falsche Pferd gesetzt? Und auch wichtige Ressourcen in der Wissenschaft dadurch verschwendet?

Prof. Dr. med. Aiden Haghikia: Das kann man nie so sagen. Wir haben ja durch diese Forschung sehr viel gelernt. Das heißt auch, aus negativen Ergebnissen ziehen wir unsere Lehren, wissen, dass dieser Weg nicht mehr weiterverfolgt werden sollte, dass das sozusagen das falsche Pferd ist, wie Sie sagen. Aber die Wissenschaft ist eine kumulative Wissenschaft, also die Naturwissenschaft und auch die humane Naturwissenschaft.

Das heißt, aus all diesen Erkenntnissen lernen wir, die parkinsonsche Erkrankung gibt es nicht. Das heißt, wir haben eine Vielzahl von verschiedenen Erkrankungen, die zum gleichen klinischen Bild führen. Wir haben genetische Parkinson-Formen, das ist sicherlich die Seltenheit. Wir haben sekundäre Parkinson-Formen, das heißt durch Minder-Durchblutung, durch Infektionen des Gehirns, solche Dinge können einen Parkinson machen. Der klassische Parkinson hat viele unterschiedliche Gesichter und aus meiner Sicht wahrscheinlich auch viele unterschiedliche Auslöser.

Wir haben - wie Sie gerade angesprochen haben - jüngst gelernt aus einer Studie, die vor ein paar Wochen veröffentlicht wurde, dass es nicht ausreicht, die falsch gefalteten Proteine aufzulösen. Stichwort Alpha Synoclein. Das wurde lange als Auslöser auch vermutet. Wenn man das auflöst, das kann man mit dieser Antikörper-Therapie, führt es aber nicht dazu, dass die Erkrankung aufgehalten wird oder sich verbessert.

Friederike Süssig-Jeschor: Sie untersuchen in Ihrer Forschung einen ganz besonderen oder einen ganz bestimmten Baustein, und zwar den Einfluss der Ernährung auf diese Erkrankung und schauen sich dabei einen ganz bestimmten Baustein an, in unserer Ernährung. Welcher ist das?

Prof. Dr. med. Aiden Haghikia: Der Baustein um es kurz zu halten, das sind die kurzkettigen Fettsäuren – also die Fettsäuren, also das Fett aus der Nahrung, ein Gemisch aus unterschiedlichen Fettsäuren. Wir schauen uns die Fettsäuren an, wie sie sich auswirken. Zum einen auf das lokale Milieu, das heißt auf die Darmwand und die dort ansässigen Nervenzellen und die Immunzellen. Man vergisst sehr häufig, dass unser Darm das größte Nerven- und Immunsystem außerhalb des Gehirns ist.

Und diese Zellen, vor allem die Immunzellen, die sitzen nicht dort, sondern die sind hoch dynamisch, die bewegen sich, die verlassen wieder die Darmwand und können unter anderem auch in das Gehirn gelangen und dort ein Schaden anrichten, wie das im Fall der MS ist. Bei der parkinsonschen Erkrankung ist das so, dass die Erkrankung aufsteigend ist. Das heißt, wir haben Symptome, die vor allem das autonome Nervensystem betreffen, unter anderem den Gastrointestinaltrakt. Das heißt, den Darm und die Beweglichkeit des Darms, aber auch das Riechvermögen und das diese Entwicklung sich von unten nach oben entwickelt. Das heißt Jahre, Jahrzehnte später kommt es zu Bewegungsstörungen und dort vermuten wir auch, dass der Link besteht zwischen dem Darm und dem Gehirn, das heißt die sogenannte Darm-Hirn-Achse.

Friederike Süssig-Jeschor: Und wieso genau die Fettsäuren? Hat das etwas mit unserer Ernährungsweise zu tun?

Prof. Dr. med. Aiden Haghikia: Zum einen reichen die ersten Beobachtungen fast 100 Jahre zurück, dass man weiß, im Kontext der MS, aber auch andere Autoimmunerkrankungen, dass das Fett aus der Nahrung ein Risiko darstellen kann. Das, was wir als Fett kennen oder im allgemein verständlichen, das ist für uns das, womit wir braten. Das ist das, was in Butter enthalten ist. Wir vergessen sehr häufig, dass auch pflanzliche Zellwände Fettsäuren enthalten.

Das heißt, die sind in sehr großen Molekülen verpackt. Die müssen aber erst mal entschlüsselt werden. Das sind die kurzkettigen Fettsäuren, die eine ganz andere Aufgabe haben im Körper, aber auch eine andere Auswirkung haben auf die Entzündungsreaktion und auf das Nervenzellsterben.

Friederike Süssig-Jeschor: Was genau konnten Sie denn herausfinden in Ihrer Forschung?

Prof. Dr. med. Aiden Haghikia: Wir konnten zeigen, dass sowohl bei MS-Erkrankten als auch bei Parkinson-Erkrankten die kurzkettigen Fettsäuren, da vor allem die Propionsäure. Es gibt mehrere Fettsäuren – die Buttersäure kennt man noch und die Essigsäure – dass die vermindert sind. Das heißt, wir haben eine Art Mangelzustand, den wir vorher nicht kannten. Es liegt nicht daran, dass diese Menschen sich anders ernähren, sondern wie diese Nahrung aufgeschlüsselt wird.

Das heißt, ob wir in der Lage sind, zum Beispiel mit den Bakterien, vor allem mit den Bakterien, die wir im Darm haben, diese komplizierten Zuckermoleküle in den Zellwänden der Pflanzenzellen zu spalten, damit das erst freigesetzt wird, was dann vom Körper aufgenommen wird. Wir konnten zum einen zeigen, dass die kurzkettigen Fettsäuren, hier vor allem die Propionsäure bei der MS dazu führt, dass mehr Regulationszellen entstehen.

Das heißt, dass sind Kontrollzellen, die verhindern, dass falsch programmierte Immunzellen den eigenen Körper angreifen. Die sind geschwächt und sind zahlenmäßig auch deutlich erniedrigt bei der MS. Und das konnten wir rückgängig machen, indem wir diese kurzkettigen Fettsäuren supplementiert haben. Das heißt, an diesem Mangel-Zustand vorbei, an diesem veränderten Mikrobiom vorbei, konnten wir das verabreichen und den gegenteiligen Effekt erzielen.

Wir haben aber auch gesehen, dass die kurzkettigen Fettsäuren, die in der Lage sind, zunächst in der Zellkultur, aber inzwischen auch bei Menschen mit Parkinson, den parkinsonschen Erkrankungen, dass ein gewisser protektiver Mechanismus vorhanden ist. Diese kurzkettigen Fettsäuren sind in der Lage, das Absterben der Nervenzellen zu reduzieren und sogar die Regeneration zu fördern.

Friederike Süssig-Jeschor: Das heißt jetzt auch mit Blick auf die Weihnachtsfeiertage, der Weihnachtsbraten ist jetzt gestrichen und wir nehmen alle Propionsäure oder wie habe ich das zu verstehen?

Prof. Dr. med. Aiden Haghikia: Auf keinen Fall. Also wir predigen jetzt nicht eine komplett fleisch -oder fettfreie Nahrung. Es geht um die Anteile in der Nahrung. Das heißt, Sie können ruhig auch Weihnachten feiern und auch den Gänsebraten essen. Wenn Sie aber ein Jahr lang jetzt Weihnachten feiern würden, würden Sie das Mikrobiom, das heißt die Zusammensetzung der Darmbakterien, das sind Milliarden, mehrere Tausende Milliarden von Zellen, können Sie so verändern, dass sie dauerhaft verändert, dysbiotisch sind.

Die gehen ja bei dieser Veränderung im Darm, die assoziiert ist mit den neurodegenerativen Erkrankungen, nicht von einem pathologischen Zustand aus. Da gibt es die Pathobionten, von denen wir wissen, dass die zum Beispiel Durchfallerkrankungen auslösen können oder andere Erkrankungen - sondern dass das Gleichgewicht durcheinandergeraten ist, das heißt die Eubiose, das normale Gleichgewicht gerät durcheinander, auch nach so einer mehrtägigen Weihnachtsfeier.

Aber die kehrt wieder zurück zur Eubiose. Wenn diese Zusammensetzung aber dauerhaft verändert ist, durch Gewohnheiten, durch Antibiotikaeinnahme, durch chronisch veränderte Ernährung, Fehlernährung, kann dieses Gleichgewicht dauerhaft auch verändert sein und es kommt zu dieser sogenannten Dysbiose.

Friederike Süssig-Jeschor: Gibt es denn überhaupt eine gesunde Darmflora? Kann man das so sagen?

Prof. Dr. med. Aiden Haghikia: Die ist so noch nicht definiert und es kommt noch hinzu, dass die Darmflora individuell sehr unterschiedlich sein kann. Das heißt, das, was für Sie gesund ist an Zusammensetzung der Bakterien, kann für mich schon nicht so gesund sein oder aus dem Gleichgewicht geraten sein. Das heißt, wir sind noch dabei zu verstehen und zu lernen, was die individuellen Unterschiede sind.

Wir kennen natürlich die Hauptgruppen der Bakterien, Bakteriodetes und Firmicutes. Das sind die Familienhauptstämme dieser Bakterien, aber in der Zusammensetzung der einzelnen Spezies kann es individuell sehr unterschiedlich sein und wir müssen aufpassen, dass wir nicht zu früh eine Bakteriensorte, eine Spezies für krankmachend erklären, sondern es kommt zu einem Zusammenbruch, zu einer Veränderung ganzer Netzwerke von Bakterien.

Friederike Süssig-Jeschor: Das heißt also grundsätzlich ist es erst mal wichtig, auf eine bewusste Ernährung zu achten, das nehme ich jetzt mit. Oder sind wir sonst alle gefährdet, irgendwann eine neurodegenerative Erkrankung zu entwickeln? Oder welche anderen Faktoren sind auch noch ursächlich für die Entstehung einer Neurodegeneration?

Prof. Dr. med. Aiden Haghikia: Die Neurodegeneration hat mehrere Ursachen, das heißt die Ursache gibt es nicht. Es gibt die genetische Prädisposition, das heißt es ist keine Gen-, keine vererbbare Krankheit. Aber die Menschen haben eine unterschiedlich ausgeprägte Veranlagung, eine neurodegenerative Erkrankung zu bekommen und dann das Zusammenwirken mit den Umweltfaktoren – und die machen tatsächlich auch den Großteil des Risikos aus – kann dieses Zusammenwirken zu Neurodegeneration führen.

Und bei den Umweltfaktoren, das haben wir lange übersehen, haben wir es auch mit den Faktoren innerhalb des Körpers im Darm zu tun. Der Darm steht ja oral, anal mit der Umwelt in Verbindung, und das, was wir zu uns führen, die Ernährung zum Beispiel, das kann natürlich auch Auswirkungen haben, kann ein Risiko darstellen. Wir haben, um noch mal auf Ihre Frage zurückzukommen, alle eine Veranlagung, eine neurodegenerative Erkrankung zu bekommen im späteren Alter.

Wir können das aber auch aktiv beeinflussen, zum Beispiel durch eine Ernährung, die ja eigentlich insgesamt schlecht aufgestellt ist. Wenn man sich das heute anschaut in der Bundesrepublik, aber auch in der in der gesamten Welt.

Friederike Süssig-Jeschor: Gibt es denn auch geschlechterspezifische Unterschiede, die Sie da wahrnehmen?

Prof. Dr. med. Aiden Haghikia: Bei der MS wissen wir, dass die Frauen drei bis viermal häufiger betroffen sind, gerade in der frühen Phase, in der schubförmigen Phase. Wir wissen, dass es in der späten Phase, bei den primär progredienten, Männer fast genauso häufig betroffen sind. Bei der parkinsonschen Erkrankung sind die Männer etwas häufiger betroffen, anderthalb bis zweimal, wie gesagt, eine Erkrankung des höheren Lebensalters.

Es wird einen Zusammenhang mit dem Hormonsystem geben. Das wird schon lange untersucht. Da gibt es noch keine eindeutigen Ergebnisse, ob das Östrogen eher die Entzündung fördert und das Testosteron eher die Degeneration, eher die Neurodegeneration.

Friederike Süssig-Jeschor: Also auch da noch Forschung, die noch weiter vorangetrieben werden sollte. Lassen Sie uns noch mal konkret werden. Mittlerweile gibt es unzählige Ernährungsformen: Keto, Paleo, vegan, vegetarisch, glutenfrei – was alles zählt denn zu einer gehirngesunden Ernährung? Und ist es richtig, dass es auch eine sogenannte anti-entzündliche Ernährung gibt? Was müssen wir uns denn darunter vorstellen?

Prof. Dr. med. Aiden Haghikia: Zunächst zu diesen verschiedenen Diät-Formen, die auch im Internet kursieren, da werden wir häufig mit konfrontiert von unseren Patientinnen und Patienten in der Sprechstunde. Davon rate ich ab, aus unterschiedlichen Gründen. Zum einen, im besten Fall machen die gar nichts. Im schlimmsten Fall – und das ist sehr häufig, was wir sehen – führen sie zu Mangelerscheinungen, zu Hypovitaminosen zum Beispiel, die dann sekundär die Erkrankung wieder verschlechtern können.

Das heißt von solchen strikten Diät-Formen, die eine Heilung versprechen, rate ich definitiv ab. Es gibt eine gehirngesunde Ernährung. Es gibt auch eine immungesunde Ernährung, die sich fast komplett deckt mit dem, was auch für unser Herz und für unser Gefäßsystem gesund ist, das heißt, eine hauptsächlich pflanzenbasierte Ernährung, arm an tierischen Fetten, arm an Fleisch.

Das heißt nicht, dass man komplett darauf verzichten sollte, aber der überwiegende Teil sollte auf pflanzlicher Basis sein, und zwar so, dass unser Darm ständig auch beschäftigt wird. Das heißt nicht, das vorverdaute, dass was kohlenhydratreich ist, Reis, Mehl, Nudeln – das, was man normalerweise als Kohlenhydratbeilage zu sich nimmt. Sondern Ernährungsformen, die unseren Darm fordern, die das Mikrobiom auch beschäftigt halten, damit sie das für uns verdauen.

Friederike Süssig-Jeschor: Und was ist mit solchen Dingen, wie Fasten oder Vitaminpräparate? Kann das MS- oder Parkinson-Patienten helfen, sich auch fitter zu fühlen?

Prof. Dr. med. Aiden Haghikia: Eine ausgewogene Ernährung führt dazu, dass wir eigentlich genügend Vitamine zu uns nehmen, die gängigen Vitamine. Da gibt es jetzt keine besondere, außer es gibt eine Aufnahmestörung. Es gibt bestimmte Erkrankungen, die dazu führen, dass Vitamine, Vitamin B12 zum Beispiel nicht richtig aufgenommen wird vom Körper. Abgesehen von diesen Zuständen haben wir eigentlich genügend Vitamine, die wir aus der Nahrung aufnehmen.

Das muss man nicht unbedingt supplementieren. Es gibt Mangelerscheinungen, die wir jetzt erst kennenlernen, wie zum Beispiel die kurzkettigen Fettsäuren. Das kannten wir noch gar nicht so als Mangel-Zustand, das supplementieren wir. Gegen das Fasten spricht per se erst mal nichts, wenn man das auch ausgewogen macht. Da gibt es Formen, die etabliert sind. Und man weiß auch, es gibt erste Hinweise dafür, dass das Fasten dazu führt, dass unsere Immunregulation gestärkt wird. Im Kontext der MS gibt es erste Studien dazu.

Friederike Süssig-Jeschor: Zum Abschluss möchte ich gerne noch auf einen Aspekt zu sprechen kommen, der mich umtreibt bei der ganzen Thematik. Und wir haben es zum Teil auch schon angesprochen. Die Weltgesundheitsorganisation hat Stress im Beruf, aber auch allgemein Stress zu einer der größten Gefahren des 21. Jahrhunderts erklärt. Dass wir also heute dauerhaft unter Strom stehen, darunter leidet vor allem unser Darm und diese ernsthaften Erkrankungen wie die, über die wir heute sprechen, sind eine Folge oder können eine Folge sein. Es ist also im Prinzip eine unglückliche Verkettung, wenn man das so nimmt. Müssen wir deshalb grundlegend unsere Anforderungen an Prävention und Gesundheitsförderung anpassen und im besten Fall viel früher ansetzen – weg von einer auf Heilung ausgerichteten Medizin, hin zu einer präventiven und die Gesundheit stärkenden Medizin? Wie sehen Sie das?

Prof. Dr. med. Aiden Haghikia: Kurze Antwort ist ja. Das heißt, der Stress, Alltagsstress, Berufsstress haben eine große Auswirkung, das wissen wir heute. Eine direkte Auswirkung, indem unterschiedliche Botenstoffe ausgeschüttet werden, die dauerhaft den Körper krank machen. Um das sehr global zu sagen. Wir kennen aber auch jetzt inzwischen die indirekten Folgen von Stress? Wenn Sie überlegen, da gibt es Studien dazu, die auch untersucht haben, dass Schlafmangel oder eben ein Transatlantik-Flug dazu führt, dass das Mikrobiom sich verändert – als Antwort auf diese Stresssituation. Das heißt, das sind Dinge, die können wir heute messen. Und zum einen geht es um Prävention, da haben Sie recht. Das heißt, dass man es erst gar nicht dazu kommen lässt. Es geht aber auch darum, mit Stress, wie man mit Stress umgeht, Coping-Strategien, um das nicht zu einem Dauerzustand, zu einem chronischen Zustand werden zu lassen, was dann wiederum direkte und indirekte Folgen wiederum hat auf unsere Gesundheit, Darm-Gesundheit, aber auch für unsere Gehirn-Gesundheit.

Friederike Süssig-Jeschor: Definitiv ein herausforderndes Thema und auch ein Thema, was zum Nachdenken anregt. Auch über den eigenen Lebensstil. Leider sind wir auch schon am Ende unseres interessanten Gesprächs angelangt. Aber ich glaube, wir sind unseren Zuhörern noch die Antwort auf meine Eingangsfrage schuldig. Das heißt also, was ist jetzt die bessere, gehirngesündere Wahl gewesen? Mein Müsli oder Ihr - ich glaube, Kaffee und Wasser war es - Herr Professor?

Prof. Dr. med. Aiden Haghikia: Ihr Müsli ist definitiv schon mal gesund. Das heißt, damit können Sie gerne weitermachen, solange Sie es nicht umstellen auf Speck und gebratenes Ei, jeden Morgen. Meine Ernährung früh morgens, daran hat sich mein Körper und mein Mikrobiom gewöhnt, ist für meine Bedürfnisse auch gesund, solange ich dann um 10 Uhr nicht Speck esse, sondern vielleicht Ihr Müsli oder einen Apfel oder eine Banane.

Friederike Süssig-Jeschor: In diesem Sinne herzlichen Dank an Sie, Professor Haghikia. Tschüss und bis zum nächsten Mal!

Prof. Dr. med. Aiden Haghikia: Vielen Dank

Intro-Stimme: Wissen, wann du willst. Der Podcast zur Forschung an der Uni Magdeburg.

  

Letzte Änderung: 30.11.2022 - Ansprechpartner: Webmaster