#20: Retten soziale Unternehmen die Welt?

17 Nachhaltigkeitsziele hat sich die UN auf die Fahnen geschrieben – darunter: hochwertige Bildung und sauberes Wasser für alle, Maßnahmen zum Klimaschutz sowie Frieden und Gerechtigkeit. Große Ziele, die gemeinnützige Organisationen alleine nicht erreichen können. Genau da setzen Social Entrepreneure – also soziale Unternehmensgründungen – an. Ihnen geht es nicht um den großen Gewinn, sie wollen die Welt verbessern und gesellschaftliche Probleme lösen. Ob sie die Welt retten können und wie sie das ohne große Gewinne finanzieren können, darüber spricht Prof. Raith in der neuen Folge von „Wissen, wann du willst“.

Heute zu Gast

Prof. Matthias Raith leitet seit 23 Jahren den Lehrstuhl BWL, insb. Entrepreneurship an der Uni Magdeburg. Mit seinem Team hat er den Social Entrepreneurship Monitor ins Leben gerufen und in Magdeburg erstmals umgesetzt. Mittlerweile wird die Umfrage europaweit durchgeführt. In seinen Vorlesungen lernen Bachelor- und Masterstudierende aus der Wirtschaftswissenschaft, den Ingenieurwissenschaften oder der Informatik, wie sie unternehmerisches mit sozialem und ökologischem Handeln vereinen können.

 

Der Podcast zum Nachlesen

Prof. Dr. Matthias Raith: Ich sehe immer mehr neue Unternehmen, die sich als Social Entrepreneure ausweisen. Meine Vision ist, dass es den Begriff Social Entrepreneurship in vielleicht zehn Jahren gar nicht mehr gibt. Weil es selbstverständlich ist, dass jedes Unternehmen diese multidimensionale Wertschöpfung im Blick haben muss.

Introstimme: Wissen wann du willst. Der Podcast zur Forschung an der Uni Magdeburg.

Ina Götze: Stellen Sie sich vor, Sie würden ein Unternehmen gründen, mit dem Sie keinen Gewinn machen. Klingt erst mal unlogisch. Doch genau darum geht es sogenannten Social Entrepreneuren, also Sozialunternehmen. Sie wollen die Welt verbessern und gesellschaftliche Probleme lösen. Doch wie können Unternehmen ohne Gewinn überhaupt bestehen? Was unterscheidet sie von Konzernen, die sich gesellschaftlich engagieren? Und wie viel Erfolg haben Sozialunternehmen mit ihren Ambitionen? Diese Fragen wird heute Professor Raith beantworten. Er leitet bei uns den Lehrstuhl für Entrepreneurship. Herzlich willkommen! Wie oft haben Sie sich denn eigentlich schon die Zunge gebrochen, als Sie Social Entrepreneure aussprechen mussten?

Prof. Dr. Matthias Raith: Na, ich habe lange geübt an Entrepreneure. Das war schon mal wichtig, weil mein Lehrstuhl „Lehrstuhl für Entrepreneurship“ heißt. Insofern, das geht inzwischen ganz gut, das Social davor zu packen, das ist dann eigentlich relativ einfach. Das zu erklären, das ist schwieriger.

Ina Götze: Das werden Sie heute hoffentlich schaffen. Die meisten von uns haben ja bereits ein soziales Unternehmen schon mal genutzt, also die Dienstleistung. Vielleicht auch das Bekannteste, nämlich Wikipedia. Was gibt es denn noch so für bekannte Social Entrepreneure?

Prof. Dr. Matthias Raith: Wenn ich nur in Deutschland mich umgucke, dann gibt es natürlich bekannte Namen wie Dialogue Social Enterprises, die das Projekt Dialog im Dunkeln gestartet haben, wo man mit sehbehinderten Führern durch eine Welt der Dunkelheit geführt wird. Es gibt das Unternehmen Discovering Hands, was blinde Frauen als taktile Experten für Brustkrebsuntersuchungen ausbildet. Auticon, was mit autistischen Software Spezialisten arbeitet. Aber dann gibt es die Suchplattform Ecosia, die Bäume pflanzt. Patagonia, die Outdoor Kleidung und Umweltprojekte miteinander verbindet. Arbeiterkind, die auch in Magdeburg tätig sind, die versuchen, Kinder aus Arbeiterfamilien in die akademische Ausbildung zu bringen. Eine große Vielfalt. Wheelmap in Berlin, die Rollstuhlzugänge sozusagen auf Stadtplänen markieren, ein großes Unternehmen. Eine sehr bunte Mischung. Also wenn man sich erst mal umguckt, findet man sehr viele Namen.

Ina Götze: Mir fällt auch gerade auf, wenn sie das aufzählen: Von Einigen habe ich schon mal was gehört und dann wird einem das erst mal bewusst.

Prof. Dr. Matthias Raith: Soulbottles, Viva con Agua. Das sind große Unternehmen inzwischen, die sehr erfolgreich sind.

Ina Götze: Schon als Kind lernen wir ja: Wenn ich mir ein Spielzeug kaufen möchte, dann muss ich dafür erst mal das Geld verdienen. Sozialunternehmen wollen zwar keinen Gewinn machen, aber Geld verdienen müssen sie ja trotzdem, um im Bilde zu bleiben, sich das Spielzeug kaufen zu können bzw. Investitionen zu tätigen oder eben auch ihre Arbeitnehmer zu bezahlen. Wie können sie das schaffen?


Prof. Dr. Matthias Raith: Jedes Unternehmen muss, damit es dauerhaft existieren kann, ökonomisch nachhaltig sein. Das heißt, das, was sie machen, wollen sie auf Dauer machen können. Das heißt, wenn Sie Ausgaben haben, müssen Sie auch Einnahmen haben. Sie müssen irgendwo Geld herbekommen. Dieses Geld kann man auf unterschiedliche Art verdienen. Das hängt vom Geschäftsmodell ab, was ein sehr spannendes Thema ist, gerade bei Sozialunternehmen. Sie können Geld verdienen am Markt, indem sie was verkaufen. Dienstleistung verkaufen, Produkte verkaufen. Oder Sie können Geld verdienen, indem sie die Mission verkaufen. Und wenn Sie die Mission verkaufen, dann sagen Sie: Ich mache hier was Tolles, gibt es irgendjemand, der dafür bezahlen will? Und die, die dafür bezahlen wollen, die nennt man dann Spender. Große Unternehmen wie Greenpeace existieren sehr erfolgreich seit Jahrzehnten auf diese Art und Weise. Der WWF existiert auf diese Art und Weise. Aber es gibt auch und andere Unternehmen, kleinere Unternehmen, die einfach sagen wir machen was Gutes. Und dann hoffen sie auf Stakeholder, die sagen, das muss am Leben bleiben. Ähnlich wie Wikipedia, dass das jedes Jahr zu Weihnachten macht - fragt ihre Nutzer: Wollt ihr uns unterstützen? Und schauen Sie sich mal in Ihrem Bekanntenkreis um, wie viele Leute tatsächlich Wikipedia finanziell unterstützen. Die wenigsten. Erstaunlich ist, wie schwergewichtig dieses Unternehmen geworden ist mit den wenigen Spenden, die sie bekommen. Das ist ein sehr großes Unternehmen inzwischen.

Ina Götze: Dann muss mein schlechtes Gewissen nicht ganz so groß sein, dass ich noch nicht gespendet habe.

Prof. Dr. Matthias Raith: Sie können Ihre Spenden auch an andere Unternehmen überweisen. Wenn man Spender wie Kunden betrachtet, ist die Spendenfinanzierung gar nicht so anders als die Umsatzfinanzierung am Markt, in dem sie Produkte oder Dienstleistungen verkaufen. Wenn Sie etwas verkaufen, dann ist die Frage auch so in dem Wertschöpfungsansatz: Wollen Sie etwas verkaufen, um mit dem Geld dann etwas Gutes zu tun, in soziale Projekte zu investieren? Oder wollen Sie mit dem sozialen Projekt selber Geld verdienen, indem Sie zum Beispiel eine benachteiligte soziale Zielgruppe produktiv einbinden, um dann mit dieser Zielgruppe tatsächlich kommerziell am Markt Geld zu verdienen? Das sind alles sehr unterschiedliche Ansätze. Aber es muss Geld verdient werden, entweder finanziell oder Sie können auch Sachspenden. Das ist dann ehrenamtliche Hilfe. Arbeiterkind zum Beispiel arbeitet sehr viel mit ehrenamtlicher Unterstützung. Und auf diese Art und Weise ist ein Unternehmen wie Arbeiterkind, glaube ich, jetzt 15 Jahre am Markt.

Ina Götze: Das Beispiel mit „Ich binde die betroffene Gruppe selber ein, dass sie etwas produzieren“ wären das sowas wie Werkstätten für Menschen mit Behinderung zum Beispiel?

Prof. Dr. Matthias Raith: So kennen wir das von früher. Aber ein Unternehmen wie Discovering Hands, das ist hochprofessionell am Markt. Hier geht es um Brustkrebsuntersuchung und da kann man nicht einfach mal ein bisschen experimentieren. Da wollen die Patientinnen natürlich was sehr Professionelles haben. Auticon, die verdienen richtig Geld am Markt, das sind Software Spezialisten. Das ist also nicht einfach eine Beschäftigung, um die Leute einzubinden. Das ist auch sehr wichtig. Aber wir reden hier, um die Inklusion von Personen, wo wir früher gesagt haben, das ist eine Behinderung. Jetzt reden wir von fokussierten Begabungen. Wir sehen sozusagen, dass Autismus keine Behinderung ist, es ist eine Fokusbegabung und die können wir natürlich wertschöpfend einsetzen. Sehbehinderung ist auf der einen Seite eine Behinderung, aber weil die anderen Sinne geschärft sind, sind diese Leute Experten für bestimmte Sachen, wie zum Beispiel als Führer im Dunkeln oder durch ihre taktile Expertise, dass sie in dem Bereich sehr gut sind. Man hat festgestellt, dass Personen mit Downsyndrom im Kundenbereich extrem freundlich sind und auf die Art und Weise in Restaurants sehr erfolgreich sind. Für Stadtführungen werden sie erfolgreich eingesetzt. Das heißt, man versteht Inklusion heute ganz anders als früher. Man versucht nicht, was Gutes für sie nur zu tun, sondern man versucht sie wirklich produktiv vollwertig einzubinden, sodass das, was am Markt gemacht wird, tatsächlich einen vollen kommerziellen Marktpreis erzielen kann.

Ina Götze: Das heißt aber, dass soziale Unternehmen auch Gewinne erzielen können?

Prof. Dr. Matthias Raith: Absolut. Also Gewinne sind nichts Schlimmes, und diese Unternehmen versuchen nicht, Gewinne zu vermeiden, die versuchen, Gewinne zu machen, aber nicht, um sozusagen diese Gewinne abzuschöpfen für private Zwecke, sondern um diese Gewinne zu benutzen, um sie zu reinvestieren, um ihre Mission auszuweiten. Das heißt also, kein Unternehmen versucht null Gewinne oder Verluste zu machen, sondern die Frage ist, was macht man mit dem Gewinn?

Und da gibt es auch unterschiedliche Rechtsformen, die das Unternehmen dann zwingen, sozusagen die Gewinne zu reinvestieren. Ecosia hat so ein so eine Rechtsform. Das heißt, da dürfen die Geschäftsführer nicht besonders viel verdienen. Sie verdienen okay, aber sie erzielen nicht hohe Gewinne für sich selbst, sondern dieses Geld wird bewusst benutzt, um Bäume zu pflanzen.

Ina Götze: Und wie erfolgreich sind Sozialunternehmen damit, gesellschaftliche Probleme zu lösen am Ende?

Prof. Dr. Matthias Raith: Das hängt von der Mission ab, wie erfolgreich sie sind. Wenn Sie die Welt retten wollen, dann haben Sie mehr zu tun, als wenn Sie eine bestimmte Zielgruppe in irgendeiner Weise mit einbinden wollen. Das ist sehr unterschiedlich. Wie man Ihren Erfolg misst, ist nicht unproblematisch, weil da gibt es Investoren, die sie unterstützen und Investoren sind keine Spender. Spender geben ihr Geld und sagen: Wir finanzieren damit dieses Projekt. Investoren finanzieren auch, aber sie wollen auch was zurückerhalten. Sie wollen eine Rendite erzielen. Das wollen die meisten Investoren. Aber es gibt eine neue Gruppe von Investoren, soziale Investoren, die sagen: Wir wollen auch eine soziale Rendite oder eine ökologische Rendite. Die zu messen, das ist eine ganz große Herausforderung, weil es sehr schwer ist, erst mal zu definieren: Was meinen wir denn mit der sozialen Wirkung? Und wenn wir gucken, wie erfolgreich sie sind. Dann können wir gucken: Wie viele Beschäftigte haben sie? Wie viele Projekte in dieser Art haben sie initiiert? Wie viele Standorte haben sie? Das kann man alles messen. Aber was sie an den Standorten bewirken, das ist schwieriger zu messen. In der Social Entrepreneurship-Forschung haben wir schon so eine Logik-Kette. Es fängt an mit der Ausbringung: Wie viel produzieren Sie? Und nehmen wir zum Beispiel an, sie wollen Brunnen in Afrika bauen. Dann ist Ihre Ausbringung die Anzahl der Brunnen, die Sie implementieren. Das nennen wir sozusagen Output. Und dann kommt Outcome. Das ist das Ergebnis. Wie viele Haushalte können Sie mit diesem Brunnen versorgen? Das heißt, mit einem Brunnen können Sie vielleicht 60 Haushalte oder Kleinunternehmen oder landwirtschaftliche Unternehmen versorgen. Und dann kommt sozusagen der große Sprung zum Impact, der Wirkung. Wie verändert das deren Leben? Sind die Leute gesundheitlich besser aufgestellt? Das hängt nicht direkt mit dem Brunnen zusammen. Es kommt auch nicht als unmittelbare Folge. Aber die Frage ist: Warum tut man das? Warum baut man Brunnen? Das ist meistens, um eine bestimmte Wirkung zu erzeugen. Diese Wirkung kommt natürlich erst nach einer gewissen Zeit, aber da passieren auch andere Sachen in der Zwischenzeit in den Dörfern. Und die Frage ist, wie viel von dieser Wirkung, können Sie sozusagen dem Unternehmen zuordnen? Das ist ein großes Problem für die Unternehmen, die es nachweisen müssen. Aber natürlich auch für die Investoren, die aufgrund dieser unterschiedlichen Wirkung auch ihre Investitionen lenken wollen.

Ina Götze: Kennen wir ein bisschen von der Kommunikation eines Unternehmens. Am Ende zu sagen, wie viel hat die Kommunikation auf das Image eingezahlt und die Wahrnehmung, ist auch immer schwer zu sagen. Ja, und daher: Ich fühle mit Ihnen. Junge Unternehmen wie Koro und Purematics, möchten ja mit ihren Produkten zum Beispiel weniger Verpackungsmüll produzieren oder nachhaltige Kosmetik. Sie verfolgen also einen ökologischen und damit auch sozialen Zweck. Könnte man diese Firmen auch als Sozialunternehmen bezeichnen?

Prof. Dr. Matthias Raith: Es sind immer mehr Unternehmen, die sich ökologische Ziele vornehmen, auch soziale Ziele vornehmen, was wichtig ist, was unbedingt auch erforderlich ist. Wir reden eigentlich von Sozialunternehmen erst, wenn die Mission in den Vordergrund rückt. Das heißt: tut ein Unternehmen Gutes, um damit besser am Markt zu stehen, um damit Geld zu verdienen? Oder verdient ein Unternehmen Geld, um damit Gutes zu tun? Das heißt, ist die Mission Mittel zum Zweck oder ist die Mission der vorrangige Zweck. Und bei Social Entrepreneurship reden wir eigentlich von Unternehmen, die um eine Mission aufgebaut sind. Die Mission steht im Vordergrund. Das ist das, was ich bewirken will. Und damit ich das auf Dauer bewirken kann, brauche ich ein Unternehmen und das Unternehmen wird zu diesem Zweck aufgestellt. Und natürlich gibt es Unternehmen, die immer mehr sagen: Ja, wir müssen ökologisch nachhaltiger sein, und die tweeten dann ihr Geschäftsmodell an der Stelle oder an der Stelle. Das ist ganz wichtig. Es ist unbedingt wichtig, erforderlich. Aber der Hauptzweck ist sozusagen, um unternehmerisch monetär erfolgreich am Markt zu sein, weil die Kunden das verlangen. Deswegen mache ich das, damit ich nach wie vor meine Sachen verkaufen kann. Da ist der Hauptzweck das Verkaufen und sozusagen das Gute ist dann Mittel zum Zweck. Damit will ich es nicht kleinreden, aber es ist nicht das, was wir als Sozialunternehmen bezeichnen. Und meistens sind Sozialunternehmen auch in Bereichen tätig, wo wir Marktversagen beobachten, wo also die Marktlösung zum Beispiel dazu führt, dass sehbehinderte Leute nicht am ersten Arbeitsmarkt keine guten Chancen haben. Da greift man dort ein und sagt: Dieses Marktproblem versuchen wir gezielt durch einen eigenen Markt. Sie sind also Market Maker. Sie versuchen Ihren eigenen Markt zu erzeugen, um diese Zielgruppe zu bedienen. Das heißt, in Bereichen, wo der Staat versagt hat, wo der Markt versagt hat, da sind diese Unternehmen schwerpunktmäßig tätig, was es sehr anspruchsvoll macht.

Ina Götze: Sie haben ja selber auch gesagt, dass immer mehr Unternehmen auch damit werben, dass sie zum Beispiel ökologische oder soziale Zwecke bedienen möchten. Dass da manchmal mehr geworben wird, als am Ende dann vielleicht doch dahintersteckt, ist jetzt nicht so verwunderlich. Hin und wieder entpuppen sich aber auch eigentlich soziale Unternehmen als Fake. Also jüngste Beispiele Got Bag oder auch das Unternehmen von Fynn Kliemann. Wie sehr schaden solche Skandale dann dem Image und der Glaubwürdigkeit von Sozialunternehmen?

Prof. Dr. Matthias Raith: Skandale schaden immer Unternehmen, immer einer Branche. Genauso wie der Dieselskandal der ganzen Autobranche geschadet hat. Das ist skandalös gewesen. Die Kunden sind empört und ich hoffe, dass die entsprechenden Unternehmen einen Schaden davongetragen haben, damit sie davon lernen. Ich glaube, man muss immer unterscheiden zwischen Unternehmen, die etwas Gutes beabsichtigen und dann geht es schief. Zum Beispiel: Ich will ökologisch was Nachhaltiges machen und dann stellt sich raus, dass ich eine viel größere Verschmutzung in einem anderen Bereich erzeugt habe. Dann ist das schiefgegangen. Solche Fehler passieren. Das ist ungewollt, das ist unschön. Das würde ich aber noch nicht als skandalös bezeichnen, das muss abgestellt werden. Und dann gibt es natürlich Unternehmen, die ganz bewusst lügen, um etwas vorzutäuschen. Das ist wirklich skandalös. Und das schadet natürlich jedem Unternehmen, was dabei auffliegt. Aber ich glaube, dass die gesamte Social Entrepreneurship-Szene so vielseitig ist, dass ich glaube, wenn ein einzelnes Unternehmen auffällt und zu Recht auffällt und dann auch sanktioniert wird von Kundenseite, von gesetzlicher Seite, dann ist der Schaden dadurch begrenzt. Ich glaube nicht, dass das in irgendeiner Weise der Social Entrepreneurship-Szene schadet. Genauso wenig wie der Dieselskandal dazu geführt hat, dass weniger Autos gekauft werden. Es werden nur andere Autos gekauft von anderen Unternehmen.

Ina Götze: Sie haben ja auch gesagt, dass einige Unternehmen eben auch zum Beispiel den ökologischen Zweck verfehlen. Habe jetzt erst kürzlich gelesen: Neben Greenwashing, tut sich jetzt im Prinzip ein neues Phänomen auf, nämlich dass Unternehmen erst verschweigen, was sie eigentlich für ökologische oder soziale Ziele haben, damit sie nicht Gefahr laufen, wenn sie dieses Ziel nicht erreichen, ihnen dann eben Greenwashing vorgeworfen wird. Das ist auch eine spannende Entwicklung.


Prof. Dr. Matthias Raith: Es ist eine spannende Entwicklung. Und das ist sozusagen auch ein Grund, warum diese Impact Messung so wichtig ist, dass man wirklich mal Kriterien feststellt. Woran können wir das denn messen, was das Unternehmen tut. Wie das Unternehmen sich darstellt, ist natürlich eine strategische Frage. Was wollen meine Investoren sehen? Und wir wissen aus der Social Entrepreneurship-Szene, weil das so schwer zu messen ist, werben sie natürlich sehr viel mit bunten Geschichten, sehr viel emotionale Sachen und stellen einfach fest, dass das die Investoren befriedigt. Und wenn es sie befriedigt, dann ist es gut. Wenn die Investoren sagen: Nein, wir brauchen harte Facts. Dann wird es schwieriger. Und das hängt sehr von den Investoren ab. Was das für Leute sind, sind das private, sind es professionelle Investoren? Natürlich versucht man sich immer besser darzustellen, als man oft ist, einfach aus Marketinggründen. Das unterscheidet nicht Sozialunternehmen von herkömmlichen Unternehmen. Und da ist es jetzt wichtig, ob man ein Unternehmen hat, was Gutes tut, um mehr Geld zu verdienen. Da ist die Motivation sozusagen Mittel zum Zweck oder ob sie Geld verdienen, um Gutes zu tun, dass die Mission der Hauptzweck. Ich glaube, da sind die Unternehmen, die Geld verdienen, um Gutes zu tun, wo die Mission im Vordergrund steht, die sind einfach glaubwürdiger.

Das heißt also, wenn ich den Aufwand betreibe, um ein Unternehmen zu konzipieren, um meine soziale oder ökologische Mission aufzubauen, die haben eine höhere Glaubwürdigkeit von vornherein als das Unternehmen, was sagt: Wir tun jetzt mal was Gutes, so nebenbei. In der Hoffnung, dass ich mehr Geld verdiene. Ecosia hat eine Internetsuchplattform wie Google, aber sie benutzen sie, um wie Google Geld zu verdienen über Werbung, wo sie sich aber verpflichten, dieses Geld in Baumaktionen zu investieren. Krombacher sagt: Für jede Kiste Bier retten wir einen Quadratmeter Regenwald. Auch eine tolle Aktion, finde ich ganz toll. Aber dann kommt man auch so: Warum nur ein Quadratmeter? Warum nicht zwei Quadratmeter? Könnten sie mehr? Und warum tun sie das? Um den Regenwald zu schützen oder um Ihr Bier zu verkaufen? Jetzt könnte man sagen, der Regenwald, dem ist es egal. Aber bei den gewinnorientierten Unternehmen ist es immer so: Könnten Sie nicht mehr? Procter & Gamble, wo Sie sagen, für eine Packung Pampers finanzieren Sie eine lebensnotwendige Impfung eines Kindes in Afrika. Tolle Aktion. Jedes Mal, wenn Sie einen Karton Pampers kaufen, retten Sie ein Kind in Afrika. Warum nur eins? Warum nicht zwei? Wenn man anschaut, dieser Teil des Gewinns von Procter & Gamble, der in die Impfaktion geht, ist verschwindend gering. Und dann gibt es natürlich kritische Stimmen, die sagen, die könnten doch viel mehr machen. Nichtsdestotrotz werden 5 Millionen Kinder gerettet. Aber bei den kommerziellen Unternehmen muss man immer fragen: Was ist der Grund warum sie das machen? Bei Sozialunternehmen würde das Unternehmen gar nicht existieren, wenn die Mission nicht verfolgt würde. Natürlich gibt es auch da Fakes und die fliegen hoffentlich auf. Aber ich glaube, wir haben hier einen neuen Typ von Unternehmen, der einfach glaubwürdiger ist und für die vielen sozialen und ökologischen Probleme glaube ich, dass diese Umkehrung des Zwecks sehr hilfreich ist.

Ina Götze: Sie hatten selber Patagonia ja auch schon erwähnt, die kalifornische Outdoormarke. Die spenden jedes Jahr 100 Millionen Dollar für Umweltprojekte. Wahnsinnig viel Geld. Jetzt haben Sie eine neue Kooperation mit der albanischen Regierung und wollen um den Vjosa River, dem letzten wilden Fluss in Europa, einen Nationalpark aufbauen. Ich war vor Ort, er hat es nötig. Da landen Sachen in diesem Fluss, wo man sich denkt: Leute, warum? Würden Sozialunternehmen mehr erreichen, wenn sie wie so ein großes Unternehmen wahnsinnig viel Gewinn machen, wirtschaftlicher denken und dieses Geld dann eben am Ende in ihr Engagement stecken können?

Prof. Dr. Matthias Raith: Also jetzt nicht Patagonia?

Ina Götze: Genau, sondern ein Sozialunternehmen.

Prof. Dr. Matthias Raith: Also, wie gesagt, es gibt die Sozialunternehmen, die zu diesem Zweck gegründet werden. Und dann gibt es natürlich immer mehr große Unternehmen, die eine gesellschaftliche Verantwortung übernehmen müssen und die sagen: Das ist aber nicht unser Hauptzweck, sondern wir benutzen das viele Geld, was wir verdienen, und stecken das in diese Projekte rein. Also der Regenwald leidet nicht unter der Krombacher-Aktion, sondern der profitiert davon. Und genauso, wenn Rewe sich mit der Tafel zusammentut, dann profitiert die Tafel davon. Die Tafel macht eigentlich das Soziale. Rewe verkauft die Produkte, ist ein kommerzielles Unternehmen, aber die Partnerschaft bewirkt, dass sozusagen die Kunden, die bei Rewe jeden Tag einkaufen, gleichzeitig sozusagen Teil ihres Geldes, sozusagen in soziale Projekte dann stecken können. Ich glaube, dass immer mehr große Unternehmen in diese Richtung gehen. Und es gibt sehr viele große Unternehmen, große kommerzielle Unternehmen, die einfach sagen, es können andere besser als wir. Wir verdienen aber so viel Geld, dass wir das einfach unterstützen mit viel Geld. Und da gibt es inzwischen große Konzerne wie Google Alphabet, die einfach sagen: Wir unterstützen soziale Projekte, ohne dass wir sie von uns aus selber initiieren.

Ina Götze: Aber es würde jetzt sozusagen den Sozialunternehmen nicht unbedingt mehr bringen, wenn sie wirtschaftlich, also wie ein Wirtschaftsunternehmen denken und handeln und dann mehr Geld, also mehr Gewinne machen, die sie dann wieder investieren können, weil dann wäre der eigentliche Zweck wieder…?

Prof. Dr. Matthias Raith: Das ist tatsächlich bei der Erfassung von Sozialunternehmen eine wichtige Frage. Die wird auch gestellt. Wie gewichten sie das Soziale und Ökologische? Und da hatten wir in Deutschland die Diskussion: Ja, wir wollen eigentlich nur Unternehmen erfassen, die auf das Soziale mehr Gewicht legen, als auf das Ökonomische. Als wir unseren Social Entrepreneurship-Monitor in Deutschland auf europäische Ebene ausgeweitet haben, haben wir großen Widerspruch bekommen von den skandinavischen Ländern, die sagen: Alle unsere, die als Sozialunternehmen ausgewiesen sind, legen einen großen Wert auf den Gewinn, weil sie mit dem Gewinn operieren. Das heißt, es ist in den Bereichen, wo Sozialunternehmen sehr erfolgreich, sehr groß geworden sind und zum Teil sehr hohe Gewinne machen. Die benutzen die natürlich, um sich noch weiter auszuweiten. Da würden Sie sagen: Nein, wir dürfen das gewinnorientiert nicht kleinreden, das ist unsere Lebensader. Dass wir so erfolgreich sind mit dem, was wir verkaufen, ist gut. Und wir versuchen sozusagen, das immer wieder neu zu investieren. Aber die würden den Gewinn nie drosseln wollen. Also die Gewinnorientierung, wenn Sie es richtig angehen, ist nicht ein Problem, sondern ein Motor für die sozialen Projekte. Die Frage ist immer sozusagen: Wird das kontrolliert umgesetzt? Wird das sichtbar umgesetzt? Wann wird es verwässert? Das ist eine schwierige Frage. Aber ich glaube, dass in Ländern, die da auch einen gewissen zeitlichen Vorsprung haben, also wir sehen zum Beispiel in den skandinavischen Ländern, gibt es einen höheren Anteil von Sozialunternehmen, die eine Zielgruppe produktiv integrieren, um damit gewinnorientiert am Markt zu sein. Das ist der Inklusionsgedanke, wird in die Produktion effektiver eingebunden als das in anderen europäischen Ländern ist. Und das ist doch das eigentliche Ziel. Und dann sollen sie doch damit auch Gewinne machen. Damit sollen sie auch erfolgreich sein. Das darf man nicht in irgendeiner Weise versuchen kleinzureden.

Ina Götze: Ihren Lehrstuhl gibt es bei uns seit 23 Jahren. Wie haben sich denn die Gründung sozialer Unternehmen in der Zeit verändert? Erkennt man vielleicht auch einen Unterschied zwischen den Generationen?


Prof. Dr. Matthias Raith: Ja, also als der Lehrstuhl damals von der KfW gestiftet wurde, da war das Ziel natürlich so was wie eine Gründerkultur in den neuen Bundesländern aufzubauen, weil es einfach hier sehr wenig gab. Ich habe zwei große Veranstaltungen, eine im Bachelorstudium, eine im Masterstudium. Und bevor ich überhaupt anfange zu unterrichten, auch im ersten Semester, starte ich jedes Jahr eine Befragung, um einfach zu gucken, wen habe ich denn da? Was sind das für Leute, die in meine Vorlesung kommen und Entrepreneurship hören wollen und auch was über Social Entrepreneurship hören wollen. Das Gründungsinteresse ist deutlich gestiegen gegenüber der Zeit, als ich studiert habe. Da hat kein Mensch über so was nachgedacht. Wir waren froh, wenn wir irgendwie auf den Jobmarkt uns positionieren konnten. Ich finde in meiner Vorlesung gut Zweidrittel der jungen Leute haben schon konkrete Produkt- oder Dienstleistungsideen, neue Ideen, die sie mit sich rumschleppen. Aber gut Zweidrittel, nicht unbedingt dasselbe Zweidrittel denken darüber nach, sich selbstständig zu machen. Ich habe in jeder Vorlesung zwischen 15 und 20 % Studierende, die das schon tun oder schon getan, auch schon mehrfach getan haben. Fast Dreiviertel der Studierenden findet die unternehmerische Selbstständigkeit interessanter als die Angestelltentätigkeit. Das ist ein hoher Prozentsatz. Das sind also die Leute, auf die ich treffe, ohne dass ich überhaupt ein Wort von mir gegeben habe. Und dann kommt noch hinzu, dass ich die große Ehre habe jetzt die Fridays for Future-Generation, die Klimaaktivisten-Generation im Hörsaal zu haben. Das sind junge Leute, die unzufrieden sind mit dem Status quo, die der Politik misstrauen, die der Gesellschaft misstrauen, die etwas ändern wollen, die sehr unzufrieden sind und wo ich sage, wenn diese Leute ein Gestaltungsinteresse haben, das ist genau die Zielgruppe, die ich brauche, um ihnen Gestaltungskompetenz zu vermitteln. Das heißt, das hat sich sehr stark verändert. Das ist also eher ein Wachstums-Trend, so positiv oder negativ, wie sich die Gründungsszene tatsächlich entwickelt. Das Gründungsinteresse, das unternehmerische Interesse der jungen Generation ist unglaublich hoch. Und das sind jetzt nicht nur Betriebswirtschaftsstudierende. In diesen großen Vorlesungen habe ich sehr viele Studierende aus auch aus den anderen Fakultäten im Master bekommen. Sehr viele Ingenieure, die auch da drinsitzen oder Informatiker. Aber ich habe auch sozusagen unter humanistischen Studierenden sehr viele Leute, die sich gerade für soziales Engagement interessieren. Und wenn man dieses in ein unternehmerisches Interesse umwandeln kann, das ist, glaube ich, ein sehr fruchtbarer Boden.

Ina Götze: Wissen Sie denn von ehemaligen Studierenden, die ein Unternehmen gegründet haben, das vielleicht auch schon bekannt ist oder mit dem sie sehr erfolgreich sind?

Prof. Dr. Matthias Raith: Also wir haben, als ich anfing, das allgemeine Gründungsinteresse steigern wollen mit unterschiedlichen Projekten und die ersten zehn Jahre, war ich wesentlich stärker in der Gründungsbegleitung tätig und da habe ich mit meinen Mitarbeiterinnen über die Jahre die Projekte, bestimmt über 800 Gründungsprojekte im Umfeld der Universität, begleitet, von denen ungefähr Ein Drittel in den Markt gegangen sind. Und die sind in allen Bereichen, das sind auch durchaus recht Bekannte dabei, die zum Teil auch abgewandert sind und einfach, um sich woanders niederzulassen. So eine Plattform wie LinkedIn macht es mir sehr leicht, mit meinen ehemaligen Studierenden in Verbindung zu bleiben. Und da sieht man natürlich bei den Meldungen: Ach, hat sich wieder jemand selbstständig gemacht oder hier ist sozusagen ein neues Unternehmen in dem Bereich entstanden. Wenn ich an Social Entrepreneurship denke, mein allererstes Projekt in meiner allerersten Ausbildung, waren drei verrückte Typen, die ein Kulturzentrum neben der Universität gründen wollten, in einer Ruine und nannten das Festung Mark. Und das war sehr visionär, sehr aberwitzig. Und wir haben gedacht: Na ja, nehmen wir, was wir haben und begleiten die. Und für mich ist eindrucksvoll, dass sie diese allererste Vision, wir sind da über eine Ruine gelaufen, als wir uns das angeguckt haben. Die haben diese allererste verrückte Version wirklich eins zu eins umgesetzt. Und heute ist das sozusagen eins unserer wichtigen Kulturzentren. Es ist wie unser erweiterter Universitätscampus, aber es ist wirklich ein soziales Projekt. Also wirklich reich kann man mit so ein Projekt nicht werden. Es hat ganz klar eine soziale Mission im Fokus und die Gründer damals haben das umgesetzt. Und einer der Gründer, Christian Sieber, ist immer noch dabei und macht einen sehr glücklichen Eindruck mit dem, was er aufgebaut hat. Er kann auch sehr stolz sein. Also ich bin wirklich beeindruckt. Beides war damals nicht zu erkennen. Überhaupt nicht.

Ina Götze: Da habe ich noch nie drüber nachgedacht. Für mich ist die Festung Mark einfach so eine Institution.

Prof. Dr. Matthias Raith: Da gab es sehr viele Stolpersteine. Also wenn er mal einen Vortrag hält über die Höhen und Tiefen dieses Projekts. Das ist total spannend und wie er das bewältigt hat, mit welchen Verbindungen auch in der Stadt. Und hier ist es mal was Politisches, hier ist es mal was Juristisches, hier ist es was Ökonomisches. Und mit meinem Lehrstuhl, mit meinen Projekten hatte ich die große Freude, sie in verschiedenen Phasen begleiten zu können, ganz am Anfang. Aber wir haben damals auch das Enactus Team, damals hieß es SIVE gegründet. Die haben dieses Jahr 20- jähriges Jubiläum. Seit 20 Jahren gibt es Enactus an der Uni Magdeburg. Wir haben damals das Team gegründet und sie haben auch als eines ihrer ersten Projekte die Festung Markt mit begleitet und waren damit sehr erfolgreich.

Ina Götze: Sehr schön. Freue ich mich wirklich, dass das so gut geklappt hat. Wie sieht denn Ihre Prognose für die nächsten Jahre aus? Wir haben ja, wie wir schon festgestellt haben, viele soziale Herausforderungen, vor denen wir stehen. Werden jetzt mehr Menschen Social Entrepreneure und in welchen Bereichen könnten die am erfolgreichsten sein?


Prof. Dr. Matthias Raith: Um die Bereiche zu identifizieren, geht man spätestens seit 2016 von den 17 UN-Nachhaltigkeitszielen aus. Die wurden damals von fast 200 Ländern beschlossen und das ist schon mal erst mal was ganz Irres. Die gehen durch ökonomische Bereiche, durch ökologische Bereiche, durch soziale Bereiche und praktisch jede, man redet von Grand Challenges, die sozusagen weltweit da sind, jede dieser Challenges ist sehr gut fixiert in den Zielen, in den Indikatoren. Das heißt, was zu tun ist, kann man da sehr schön sehen. Und wir können sozusagen mit den Nachhaltigkeitszielen im Rahmen unseres jährlichen Social Entrepreneurship Monitors, können wir sehr schön sehen, welche dieser Ziele werden verfolgt, in welchem Bereich, durch welche Art von Unternehmen, auch in Kombination. Das sind alles die Bereiche, die notwendig sind und da muss auch etwas passieren. Ich sehe immer mehr neue Unternehmen, die sich als Social Entrepreneure ausweisen, die das versuchen, gleichzeitig auch, wie Sie es gesagt haben. Es gibt immer mehr Unternehmen, die die Notwendigkeit sehen, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen, ob sie es von innen herauswollen. Berühmtes Beispiel ist Rügenwalder Mühle, ein traditionelles Wurst Unternehmen, wo plötzlich die Nachfolger gesagt haben: So kann das nicht weitergehen. Wir müssen andere Art von Nahrung machen und haben dann die vegetarische Salami rausgebracht, die so erfolgreich war, dass sie die traditionelle Salami vom Markt genommen haben, einfach aufgrund der Produktionskapazitäten und jetzt sozusagen im vegetarischen/veganen Bereich einer der Marktführer sind. Ob das vom Unternehmen selber ausgeht oder ob hier eine Nische gesehen wird auf Kundenseite, dass die Unternehmen sagen, wir müssen das machen, weil die Kunden das wollen. Es gibt aber immer mehr Unternehmen, die es aus irgendeinem Grund machen wollen, gesellschaftliche Verantwortung übernehmen wollen, sodass die Frage sozusagen: Sind sie sozial motiviert, weil es im Vordergrund steht oder weil das Mittel zum Zweck wird? Das verwischt sich immer mehr. Dann gibt es die originär Sozialunternehmen, die aber so erfolgreich sind. Dialog im Dunkeln. Da sagt man, wenn wir Geld verdienen können, verdienen wir Geld. Natürlich. Dann machen wir das. Dass meine Vision ist, dass es den Begriff Social Entrepreneurship in vielleicht zehn Jahren gar nicht mehr gibt. Weil es selbstverständlich ist, dass jedes Unternehmen diese multidimensionale Wertschöpfung im Blick haben muss. Das heißt also, ein rein gewinnorientiertes Entrepreneurship wird eher eine degenerierte Form sein, über die man gar nicht mehr so sehr redet, weil einfach die Gesellschaft erwartet das. Sie erwartet eine nachhaltige Produktion. Sie erwartet nachhaltige Produkte. Bei Rügenwalder sieht man es wieder. Kaum haben sie die Salami rausgebracht, haben die Kunden sich über die Verpackung aufgeregt. Aber man muss es in Plastik sein. Jetzt wird über Verpackung viel nachgedacht, dass die nachhaltig ist. Also das sind alles Sachen, die immer mehr von Kundenseite gefordert werden und wo die Unternehmen das bedienen müssen, bedienen wollen. Und was faszinierend ist, wenn sie damit Geld verdienen können, ist es eigentlich genau das, was wir eigentlich beabsichtigen, dass wir diese notwendigen Herausforderungen, die bringen wir so in den Wertschöpfungsprozess, dass man damit Geld verdienen kann, wenn man sie bewältigt. Und das ist eigentlich das Hauptziel. Ob es soziale Sachen sind oder ökologische Sachen oder eine Kombination, das ist egal.

Ina Götze: Jetzt habe ich Appetit auf die vegetarische Salami von Rügenwalder (lacht).

Prof. Dr. Matthias Raith: Schmeckt sogar sehr gut. Gucken Sie doch bei den Pattys, bei den Hamburgern. Früher war, da war das gepresstes Gemüse, heute sind sie vom Geschmack her sehr ähnlich. Gerade die Fleischersatzindustrie erfährt einen Boom, wo man sagt: Ja, das ist genau das, was wir brauchen, wenn wir die Welt ernähren wollen, müssen wir weg vom Fleischkonsum. Müssen wir dafür reines Gemüse essen oder ist Fleischersatz eine gangbare Alternative? Und es scheint zu funktionieren.

Ina Götze: Ich habe jetzt erst im Urlaub einen hervorragenden Beyond Meat Burger gegessen, war sogar mein Freund überzeugt.

Prof. Dr. Matthias Raith: Ja, es ist durchaus so, dass manche Fleischesser das vielleicht gar nicht merken. Das ist die Richtung in die die Zukunft geht und Beyond Meat glaube ich nicht mal, dass es ein Sozialunternehmen ist. Die wollen Geld verdienen. Die sehen ja einen Markt und die versuchen, diesen Markt zu bedienen und toll.

Ina Götze: Wie kann man das denn kontrollieren? Weil, wenn die Zukunft dahin geht, dass im Prinzip alle Unternehmen ja auch einen sozialen und ökologischen Zweck verfolgen werden, warum auch immer. Wie kann man denn kontrollieren, ob das dann wirklich so ist, dass nicht zu viele Fake Unternehmen auf den Markt kommen? Kann man überhaupt kontrollieren?


Prof. Dr. Matthias Raith: Wie gesagt, Investoren wollen das sehen. Also wenn ich mein Geld investiere, möchte ich davon überzeugt sein. Was überzeugt mich? Welche Art von Reports, welche Art von Zahlen muss ich sehen, damit ich überzeugt bin? Das wird immer anspruchsvoller. Die Digitalisierung hilft auch, Sozialunternehmen wesentlich besser auch zu kontrollieren, was sie machen. Auch sozusagen in Echtzeit zu kontrollieren. Also das ist machbar. Aber natürlich, wie in jedem Bereich, wo etwas wächst, führt Wachstum zu Missständen. Und die Missstände müssen nicht mal gefaked sein. Gucken Sie sich Unternehmen an wie Airbnb, wo wir früher gesagt haben: Hier kommt jetzt ein Couchsurfing Unternehmen, was endlich mal die Hotelpreise sozusagen aushebelt, wo wir eine Alternative haben. Alle fanden das als was sehr Exotisches, sozial wichtiges. Wenn aber ein Unternehmen wie Airbnb so groß wird, dass es den Wohnungsmarkt kaputt macht, wird es zu einem sozialen Problem. Das heißt, auch Wachstum ist durchaus ein Problem für wachsende soziale Unternehmen. Uber hat den Taxi Markt aufgemischt, was wir eigentlich alle sehr gut fanden, dass es eine Gefahr für den öffentlichen Nahverkehr sein könnte, das ist eine Folge des Wachstums und es muss nicht mal Fake sein, es können einfach Wachstumserfolge zu viel des Guten, kann eventuell problematisch sein. Berühmtes Unternehmen Toms Shoes, ist berühmt geworden dafür, ein amerikanisches Unternehmen, wenn Sie ein Paar Schuhe kaufen, bei Tom's wird ein Paar Schuhe gespendet an Leute in Südamerika, die keine haben, die sich keine leisten können. Aber das ist doch toll. Also ist es ein kommerzielles Unternehmen. Bis man festgestellt hat, dass die, die regionale Schuhindustrie in Südamerika kaputt gemacht haben, weil die sozusagen keine Gewinne mehr machen. Gutmenschentum ist auch in sozialen Bereichen nicht ungefährlich und da muss man sehr aufpassen, muss man genau hingucken. Machen wir wirklich was Gutes, wenn Wasserbrunnen den Grundwasserspiegel abbauen und dann die Getreidefelder vertrocknen oder das Vieh verdurstet, hat nun mal was Kontraproduktives. Das ist eine Erfahrung, die man gemacht hat. Da muss man genau hingucken. Aber da ist über die sozialen Medien, so problematisch sie sind mit Fake News, sie sind auch investigativ, glaube ich, sehr wertvoll, so dass Missstände auch sehr schnell aufgedeckt werden. Also wie so Fake soziales oder wie Maskenskandale während der Coronazeit. Die sind passiert, aber die sind auch aufgeflogen.

Ina Götze: Alle zwei Jahre erscheint ja der Social Entrepreneurship Monitor, den sie hier in Magdeburg initiiert und auch das erste Mal durchgeführt haben. Was sind denn da so die neuesten Erkenntnisse?

Prof. Dr. Matthias Raith: Ja, wir haben ihn damals überhaupt initiiert. Das war bei einem Workshop in Magdeburg. Da hatten wir Social Entrepreneurship Forscher aus der deutschsprachigen Szene eingeladen und auch verschiedene Projekte. Und da kamen zwei Gründungsmitglieder des zukünftigen Social Entrepreneurship Netzwerks in Deutschland, SEND. Und da haben wir gesagt, wie können wir mehr über Social Entrepreneurship erforschen? Und da war eine Idee, wir müssen überhaupt erst mal erfassen, wer das ist in Deutschland. Und da ist die Idee für den Monitor entstanden. SEND ist Anfang 2018 gegründet worden. Im Sommer 2018 ist der erste Monitor gestartet. Wir waren am Fragebogen beteiligt. Wir haben auch die Plattform zur Verfügung gestellt, damit der sozusagen starten konnte. Das heißt, wir waren da sehr stark als Kooperationspartner. Und da haben wir zum ersten Mal tatsächlich mal erfasst, neben den bekannten Unternehmen, die wir am Anfang aufgezählt haben, wie viele andere es gibt und in wie vielen Bereichen, die tatsächlich tätig sind. Und da haben wir ein erstes buntes Bild von Social Entrepreneurship in Deutschland gekriegt. Wobei es erst mal ich glaube, 400 Unternehmen haben mitgemacht, 250 konnten wir tatsächlich vollständig auswerten. Das war also eine relativ kleine Zahl, die uns aber schon mal das erste bunte Bild gegeben haben. Das war für SEND sehr wichtig, die in Berlin sitzen als Interessensvertreter, um gegenüber der Politik zu sagen: Das ist Social Entrepreneurship in Deutschland. Die Erkenntnis in den Jahren darauf war, dass dieses bunte Bild sich nicht verändert hat, aber es ist dichter geworden. Die Zahl hat sich jedes Jahr verdoppelt. Und deswegen war es auch wichtig, das jährlich zu machen. Und weil der Fragebogen recht umfassend war, haben wir nicht nur gesehen: Wie sind sie aufgestellt? Wie verdienen Sie Ihr Geld? Machen Sie etwas für eine Zielgruppe, mit einer Zielgruppe? Sind Sie ökologisch? Sind sie sozial ausgerichtet? Welche SDGs? Welche Hürden sehen Sie? Sind Sie mit der Politik zufrieden? Das waren alles Fragen, die wichtig waren, um sozusagen dieses Thema auszubauen. Wie ticken die eigentlich. Dann kam irgendwann das Bedürfnis, wenn wir das in Deutschland machen können, warum bringen wir das nicht in andere Länder? Und da hatte SEND einen guten Kontakt zu einer europäischen Organisation Euclid Network, die sitzen in den Niederlanden und haben gesagt: Ja, dann machen wir das doch zum Social Entrepreneurship, zum Europäischen Enterprise Monitor. Und da haben Sie den deutschen Fragebogen genommen, der wurde dann in mehrere Sprachen übersetzt. Dann haben wir den im ersten Jahr 2020. Das war dann die dritte Runde für den deutschen Social Entrepreneurship Monitor, wurde zur ersten Runde des Europäischen Social Entrepreneurship Monitors in sieben europäischen Ländern in unterschiedlichen Sprachen. Und da haben wir ein europäisches Bild bekommen. Und der letzte Social Entrepreneurship Monitor, der war in 21 europäischen Ländern. Wieder mit dem Fragebogen, der sozusagen vom DSEM ausging. Und da ist die Erkenntnis, es gibt mehr Unterschiede innerhalb eines Landes als zwischen den Ländern. Das heißt, das Bild, was wir in Deutschland haben, da haben wir die meisten Daten, das Bild, was wir in Deutschland bekommen haben, sehen wir repliziert in anderen europäischen Ländern, mit leichten Verschiebungen in der Gewichtung. Aber diese bunte Mischung sehen wir überall. Und das ist natürlich auf europäischer Ebene sehr wichtig, weil Euclid wird fast wöchentlich von der EU Kommission kontaktiert, die dann sagen, wir müssen mehr Informationen haben für diese Politik, wir müssen mehr über Sozialunternehmen wissen, wo holen sie sich ihre Informationen her. Vom Social Enterprise Monitor. Das heißt, ist es ein wichtiges Politikinstrument geworden. Das hat sich verändert, die Wahrnehmung in der Politik durch den Monitor. Auch die Erkenntnisse für die Politik haben sich verändert. Und was ich auch sehr beeindruckend finde, dass der erste Social Entrepreneurship Monitor, der über unseren Server hier in Magdeburg lief, auf europäischer Ebene habe ich gesagt, das kann ich datenschutzrechtlich gar nicht stemmen, das läuft jetzt über SAP. Das heißt, SAP ist ein großer Partner, Google.org ist ein großer Partner, Bertelsmann Stiftung, BMW-Stiftung. World Economic Forum Davos ist sehr interessiert. Die nehmen das Thema wahr. Warum interessieren die sich für Social Entrepreneur? Ist das für deren Image? Warum machen die das? Da könnte man sagen, wen interessiert das? Vielleicht interessiert es die Sozialunternehmen, das wissen wir nicht. Das sind die Bösen, die wollen wir nicht drin haben. Aber bisher scheint es zu funktionieren. Es kommt Geld rein. Das Projekt weitet sich aus. Und das heißt, die für uns die wichtigste Erkenntnis ist. Wir erfassen sie relativ gut inzwischen. Und wir sehen sozusagen, wo die Baustellen sind. Das ist deutlich sichtbarer, als es früher war. Und das macht es natürlich auch der Politik deutlich einfacher, wenn die Politik offen dafür ist. Aber inzwischen gibt es im Bundeswirtschaftsministerium Staatssekretäre, die das fokussiert auf dem Schirm haben. Und im Bundesbildungsministerium gibt es extra Beauftragte für Social Entrepreneurship, die sozusagen das im Fokus haben, sodass auch die Förderpolitik wesentlich besser darauf zugeschnitten werden kann. Und das sind sozusagen wichtige neue Erkenntnisse, die in diesem Bereich sehr hilfreich sind. Und da wir maßgeblich daran mitgewirkt haben, bin ich natürlich als Magdeburger sehr stolz drauf.

Ina Götze: Das können Sie durchaus sein. Eine schöne Entwicklung.

Prof. Dr. Matthias Raith: Ja, eine sehr, sehr schöne Entwicklung. Und es wächst weiter. Und wenn man mehr über Social Entrepreneure wissen will, muss man einfach auf die SEND Homepage gehen, weil da muss man einfach, das Mitgliederverzeichnis das ist die Who is Who der Social Entrepreneurship Szene und da gibt es auch viele Studierende, Forschende, die gezielt zu der Seite gehen, wenn sie mal in Kontakt kommen zu Social Entrepreneurship Unternehmen, die für ein Praktikum, für ein Forschungsprojekt, was auch immer.

Ina Götze: Wie steht denn Deutschland im internationalen Vergleich da. Denken wir noch sehr viel profitorientiert oder haben wir mehr soziale Unternehmen?

Prof. Dr. Matthias Raith: Also vom Anteil her, haben wir sicherlich noch einen geringen Anteil von Sozialunternehmen. Und da gibt es auch den Green Startup Monitor, der darauf guckt, wie viele Unternehmen sind nachhaltig ausgerichtet. Das ist immer so ein spannender Streit zwischen uns Social Entrepreneurship Forschern und den Sustainability Entrepreneurship Forschern. Ist Social ein Teil von Sustainability oder Sustainability, ein Teil von Social? Mir ist es völlig wurscht. Natürlich ist Sustainability ein Teil von Social, weil der Social Entrepreneurship Monitor ganz gezielt Unternehmen hat, die sich als Social Entrepreneure bezeichnen wie Ecosia. Und deren Mission ist, Bäume zu pflanzen. Das heißt, die haben eine ökologische Zielsetzung. Aber ich glaube, das ist völlig wurscht, wenn man sich die Nachhaltigkeitsziele anguckt. Die meisten verfolgen sowieso eine Kombination, und das ist auch gut so!

Im European Social Enterprise Monitor sind die meisten Daten deutsche Daten. Das liegt aber daran, dass wir einen zeitlichen Vorsprung haben in der Erfassung. Und weil wir als Partner SEND haben, die Unglaubliches leisten, um das zu promoten und das danach zu verarbeiten. Das wird immer auf Bundesebene mit Bundestagsabgeordneten, jedes Jahr gelauncht und sehr medienwirksam. Andere Länder sind da im Augenblick noch nicht so weit.

Was die Entwicklung von Social Entrepreneurship betrifft, sind wir eher langsamer als andere Länder, weil wir in Deutschland noch aus dem 19. Jahrhundert, es geht auf Bismarck zurück, die karitativen Verbände haben. Die haben traditionell in Deutschland sehr wichtige große soziale Aufgaben übernommen. Und Deutschland ist im internationalen Vergleich ein Land mit einem sehr engen sozialen Netzwerk. Anders als zum Beispiel die USA, sodass es keinen großen Raum für unternehmerische Ambition in dem Bereich gab. Das war in den USA ganz anders. Wenn Sie keine gute soziale Absicherung haben, haben Sie mehr Unternehmen, die sagen: Jetzt müssen wir was unternehmen. Das heißt Social Entrepreneurship als Entrepreneurship Thema ist viel eher in den USA entstanden und in Deutschland war so nicht die Notwendigkeit, es auf dem Schirm zu haben. Es ist erst nach Deutschland gekommen mit Organisationen wie Ashoka. Ashoka ist eine internationale Organisation zur Förderung von Social Entrepreneurship, das gegründet wurde von einem ehemaligen McKinsey Berater, der gesagt hat: Ich muss jetzt was Gutes tun. Er hat Ashoka gegründet und als Ashoka nach Deutschland gekommen sind. Und Ashoka fördert nicht Projekte, sondern Personen sind die Ashoka Fellows, das sind sozusagen die Unternehmen wie Dialog im Dunkeln plötzlich sichtbar geworden. Discovering Hands, Arbeiterkind, also die Gründerin von Arbeiterkind ist sozusagen eine der ersten Ashoka Fellows und die sind damit sehr prominent geworden. Dann kam noch die Schwab Foundation dazu, die haben auch sehr viel soziale Projekte gefördert und damit ist das unternehmerische Soziale in Deutschland erst auf den Schirm gekommen. Und das ist so in den letzten anderthalb Jahrzehnten erst passiert. Das heißt, wir sind etwas später gestartet, aber dann hat es in Deutschland eine sehr boomende Entwicklung genommen und in den letzten Jahren ganz klar auch durch so Lobbyisten wie SEND, die den Bundestagsabgeordneten in den Ministerien ständig auf die Pelle rücken und immer wieder, dass das im Koalitionsvertrag drinsteht. Der Begriff Social Entrepreneurship, das ist SEND zu verdanken. Die haben nicht lockergelassen, bis das reingenommen wurde. Und das wirkt sich dann auch nach und nach aus.

Ina Götze: Wir bilden bei uns ja an der Uni auch Social Entrepreneure aus. Was lernen die dann bei uns?

Prof. Dr. Matthias Raith: Ich kann in erster Linie sagen, was sie bei mir lernen. Ich habe das Thema in allen meinen Veranstaltungen drin, weil ich glaube, das eine andere Art von Entrepreneurship keinen Sinn macht. Das heißt also, es ist als Schwerpunkt. Als ich anfing, so 2006, war es eher so ein exotisches Nebenkapitel in der Entrepreneurship-Ausbildung und es ist immer mehr in den Fokus gerückt. Jetzt ist es sozusagen ein zentrales Element. Ich stoße in den großen Veranstaltungen auf unternehmerisches Interesse, auf gesellschaftliches Gestaltungsinteresse. Und das versuche ich in der Entrepreneurship-Ausbildung durch unternehmerische Gestaltungsansätze umzusetzen. Und das bedeutet, das sind kreative Prozesse. Wie mache ich aus einer Idee, eine Unternehmensidee, eine grandiose Unternehmensidee, eine mehrdimensionale Unternehmensidee, nicht nur ein Produkt, sondern auch was soziales, was ökologisches.

Dann kommen sehr viele evaluatorische Techniken. Ich muss gucken, ist die Idee gut genug, um in Markt zu gehen? Ich hatte ja gesagt, von den vielen hunderten Unternehmensprojekten, die wir begleiten, sind Ein Drittel in den Markt gegangen. Warum gehen Zweidrittel nicht in den Markt? Weil sie nicht gut genug waren. Das haben die Unternehmer*innen dann selber erkannt. Das heißt, die sind nicht gescheitert, sondern die haben es zurückgezogen, um dann irgendwas anderes zu machen. Das heißt, dieses Evaluatorische, dafür muss man Techniken vermitteln. Wie kann man so was betriebswirtschaftlich planen? Und dann, das Dritte ist das Strategische. Denn wenn ich mit einem Unternehmen rausgehe, bin ich mit diversen Stakeholdern in Interaktion. Das sind Stakeholder, die mich unterstützen wollen, wo ich dann im Wettbewerb mit anderen um diese Stakeholder, aber es sind auch Konkurrenten am Markt. Auch in Sozialunternehmen ist es nicht so, dass die sagen, jeder freut sich über ein neues Sozialunternehmen. Die anderen Sozialunternehmen worum konkurrieren die? Nicht um die Kunden. Die Zielgruppe ist froh. Und wenn ich die Zielgruppe bedienen kann, sind alle froh. Es geht um Finanzierer, es geht um die unterstützenden Stakeholder. Welchen Finanzierer kriege ich denn? Und da bin ich in Konkurrenz zu anderen Projekten. Die karitativen Verbände sehen sich durchaus in einigen Bereichen bedroht durch diese neuen Unternehmen. Und da versucht man natürlich immer wieder: Nein, es geht um das Miteinander statt des Gegeneinanders. Das sind alles strategische Aspekte. Das heißt, das Kreative, das betriebswirtschaftlich Planerische, das Strategische, das sind alles Aspekte, die man in diesem Bereich unterrichten kann mit betriebswirtschaftlichen Methoden. Wobei ich Betriebswirtschaft da nicht vermittle als eine Managementwissenschaft, sondern als eine Gestaltungswissenschaft. Das kann man vermitteln. Direkt für die Gründungsbegleitung, dafür haben wir das Technologie- und Gründerzentrum. Also wenn wir konkrete Gründungsideen da sehen, dann schicken wir die meistens zum TUGZ. Und dann natürlich in Seminaren, Projektveranstaltungen bin ich sehr viel in Interaktion mit regionalen Unternehmen, die Hilfe brauchen, weil es oft sehr kleine Unternehmen sind. Und da haben wir sehr viele Projektseminare, wo Studierende dann am realen Projekt lernen, sich sozusagen strategisch einzubringen, um ökologische Fragestellungen zu lösen, soziale Fragestellungen, was auch immer. Und dann gibt es natürlich die Forschung. Da wir den Social Entrepreneurship Monitor mit initiiert haben. Ich bin Research Board des European Social Enterprise Monitor. Wir sind die allerersten auf der Welt, die mit diesen Daten arbeiten. Und das habe ich jetzt in den letzten Semestern im Seminar den Studierenden gesagt. Sie sind die allerersten Menschen, die wissenschaftlich mit diesen Daten arbeiten. Das macht Spaß. Also das ist eher das wissenschaftliche, zu zeigen, dass Entrepreneurship auch ein sehr spannendes sozialwissenschaftliches Forschungsthema ist. Das interessiert viele junge Studierende. Und dass wir ihnen zeigen, dass sie mit Projekten oder mit Daten oder wir machen auch viel qualitative Forschung. Das heißt, man muss interviewen, man muss mit den Leuten reden. Und wir begleiten zum Beispiel jetzt auch ein Start-up in Kenia, was Kioske im ländlichen Kenia aufbaut. Und da zum Beispiel, wenn man den Impact erfassen will, mal mit den Kioskbetreibern tatsächlich zu reden. Wie verändert das euer Leben, was macht ihr mit dem neuen Einkommen? Wer sind eure Kunden? Wie verändert das deren Leben? Das ist eine Feldforschung, die sehr spannend ist. Und wenn man da Studierende oder Mitarbeitende mit integrieren kann, das ist auch eine neue Forschungsszene, die jetzt in Deutschland immer größer wird und sehr viele Leute auch anzieht.

Ina Götze: Jetzt habe ich nicht nur Lust auf die Rügenwalder Salami, sondern auch darauf nochmal zu studieren. Klingt sehr spannend. Zum Abschluss noch eine letzte persönliche Frage: Welche gesellschaftliche Herausforderung würden Sie denn gerne lösen?

Prof. Dr. Matthias Raith: Also ich bin immer noch aktiv in der Rolle des Forschers und des Ausbilders. Und da sehe ich sozusagen auch meine höchste Wirkung, weil ich einfach jetzt gegen Ende meiner Karriere feststelle, wie viele zehntausende Studierende ich tatsächlich vor mir hatte und hoffentlich in irgendeiner Weise berührt habe. Zumindest einen kleinen Prozentsatz. Wir leben in einem der reichsten Länder der Welt. Und ich bin der Meinung, dass der Wohlstand, den wir heute haben, ist ökonomisch, ökologisch und sozial zum großen Teil auch auf Kosten vieler heute sehr armer Länder entstanden. Das ist historisch gewachsen, wo man sagen könnte: Was interessiert mich der Kolonialismus, war ich nicht daran beteiligt. Aber es ist nun mal so, das ist sozusagen unser Erbe. Ich glaube auch nicht, dass wir es einfach abtun. Ich glaube, dass wir es auch nicht abtun können, denn die Folgen holen uns jetzt ein. In Form von ökologischen Krisen, in Form von sozialen Krisen. Wir haben Leute auf der Welt, die leben von unter zwei Dollar am Tag, das ist die sogenannte Bottom of the Pyramid, die sich primär auf der südlichen Halbkugel befindet. Und wir beobachten Migrationsbewegungen, mit denen wir nicht besonders professionell bisher umgegangen sind. Und damit müssen wir klarkommen. Wir müssen dieses soziale Gefälle in irgendeiner Weise in Griff bekommen. Das ist für mich die größte Herausforderung. Und ich gehöre natürlich zu einer Generation, die sehr gut in diesem Gefälle gelebt hat. Und ich glaube, das müssen wir bewältigen, das müssen wir auch in den nächsten Jahren bewältigen, denn die Migrationsbewegungen bringen natürlich auch wichtige Arbeitskräfte in unser Land. Aber je besser die Arbeitskräfte sind, die wir anziehen, desto größer ist sozusagen der Braindrain in den Herkunftsländern. Es macht die Probleme dort nicht besser. Und wenn wir das lösen wollen, müssen wir vor Ort lösen. Deswegen sind wir auch forschungsmäßig mit einem Unternehmen in Kenia verbunden, weil wir sagen, das ist eine immer wichtigere Forschung. Wir stellen fest, dass die traditionelle Entwicklungspolitik das nicht wirklich hinbekommen hat. Und weil wir bei den anderen Nachhaltigkeitszielen doch beobachten, dass hier Unternehmen gefragt sind, glaube ich auch, dass für diese gesellschaftliche Herausforderung, Unternehmen gefragt sein werden. Und ich glaube, es ist die größte Herausforderung, Kombination von Herausforderungen, die wir bewältigen müssen. Und deswegen versuche ich das sozusagen in meiner Rolle als Ausbilder immer mehr in den Fokus zu bringen, insbesondere gegenüber einer Generation, die selbst unzufrieden ist und hoffentlich das reparieren kann. Das ist meine größte Hoffnung. Natürlich gibt es viele andere Krisen und wir vernachlässigen die Generationen, die nach uns kommen in unserem eigenen Land. Ich glaube aber trotzdem, dass dieses soziale Gefälle das Dringendere ist.

Ina Götze: Super spannendes Thema. Vielen Dank, dass Sie da waren.

Prof. Dr. Matthias Raith: Danke, dass Sie mich haben.

Ina Götze: Das hat unheimlich viel Spaß gemacht. Ich habe viel gelernt. Ich hoffe, Sie da draußen an den Kopfhörern oder vor den Lautsprechern ebenfalls. Ich freue mich auf die nächste Folge und wünsche Ihnen bis dahin alles Gute.

Outrostimme: Wissen wann du willst. Der Podcast zur Forschung an der Uni Magdeburg.

Letzte Änderung: 15.05.2023 - Ansprechpartner: Webmaster