#19: Ist der Eingriff in unsere Gene ethisch vertretbar?

Mittlerweile hat die Wissenschaft mehr als 8.000 seltene Erkrankungen beschrieben, die oftmals eines gemeinsam haben: Eine Diagnose dauert und eine Therapie oder gar ein Heilmittel gibt es bisher nicht. Das stellt alle Beteiligten wie Angehörige, Mediziner und die Betroffenen selbst vor besondere Herausforderungen. Moderne genetische und genomische Untersuchungen machen es heutzutage möglich, eine Vielzahl dieser genetisch bedingten Erkrankungen, die oft auch als die „Waisen der Medizin“ bezeichnet werden, frühzeitig zu identifizieren. Wo aber liegen die Grenzen dieser Technologien und wieso sollte man diese auch nicht überschreiten – darüber spricht Humangenetiker Prof. Dr. med. Martin Zenker im Podcast.

Heute zu Gast

Prof. Dr. med. Martin Zenker leitet das Institut für Humangenetik an der Universität Magdeburg. Der Facharzt für Kinderheilkunde erforscht seit gut 20 Jahren das menschliche Genom und die molekularen Ursachen von „RASopathien“, einer Gruppe sehr seltener Erkrankungen. Ziel seiner Forschung ist es, die Krankheitsmechanismen besser zu verstehen und konkrete Behandlungsmethoden zu entwickeln.

 

 

Der Podcast zum Nachlesen

 

Introstimme: Wissen, wann du willst. Der Podcast zur Forschung an der Uni Magdeburg.

Friederike Süssig-Jeschor: Hallo und herzlich willkommen zu unserem Wissenschaftspodcast der Uni Magdeburg. In dieser Folge steigen wir in das große und interessante Thema der Genetik ein und wollen dabei über eine ganz besondere Gruppe von Erkrankungen sprechen, die sogenannten seltenen Erkrankungen, die zum Großteil genetisch bedingt sind. Moderne genetische Untersuchungen machen es heutzutage möglich, eine Vielzahl dieser genetisch bedingten Erkrankungen frühzeitig zu identifizieren. Wo aber liegen die Grenzen dieser Technologien und wieso sollte man diese auch nicht überschreiten? Darüber möchte ich mit unserem heutigen Gast reden.

Das ist Professor Dr. med. Martin Zenker. Er ist Facharzt für Kinderheilkunde und Direktor des Instituts für Humangenetik hier an der Uni Magdeburg. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit einer der häufigsten seltenen Erkrankungen – der Gruppe der RASopathien – und den Mechanismen dieser Erkrankungen. Dazu leitet er auch den deutschlandweiten Forschungsverbund GeNeRARe. Mein Name ist Friederike Süssig-Jeschor. Ich bin die Pressesprecherin der Medizinischen Fakultät der Uni Magdeburg.

Professor Zenker, wir freuen uns, dass Sie da sind. Herzlich willkommen!

Prof. Martin Zenker: Guten Morgen!

Friederike Süssig-Jeschor: Humangenetik – Wenn man den Begriff hört, denkt man als erstes an Dolly, das berühmte Klonschaf oder an die Zwillinge Lulu und Nana, die beiden ersten gentechnisch manipulierten Babys, die 2018 in China zur Welt gekommen sind. Klären Sie uns bitte einmal auf! Worum geht es denn bei diesem Fachgebiet und was ist Ihre Aufgabe als Institut für Humangenetik hier an der Uni Magdeburg?

Prof. Martin Zenker: Ja, das, was Sie nennen, das sind ja Experimente oder Eingriffe bei embryonalen Stammzellen, die große mediale Aufmerksamkeit erlangt haben, die auch von manchen Leuten so als primäre repräsentierende Forschung für Humangenetik aufgefasst werden. Und die zu Recht sehr kritisch auch gesehen werden. Mit der Realität der Tätigkeit in einem humangenetischen Institut hat es tatsächlich relativ wenig zu tun. Die Humangenetik als medizinisches Fach ist ja das Fach, das sich mit den genetischen Grundlagen von menschlichen Erkrankungen befasst. Und da haben wir in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht.

Wir kennen heute sehr viele Erkrankungen und natürlich für die große Zahl an genetischen Erkrankungen, die genetischen Ursachen und genetische Faktoren, die für Erkrankungen disponieren. Und diese Forschungen fließen im Grunde genommen sehr direkt auch ein in die diagnostischen Verfahren, in dem Moment, wo ein neues Gen für eine Erkrankung bekannt ist. Uns steht es natürlich auch als Diagnostik zur Verfügung.

Darüber hinaus, was wir praktisch am Institut machen, ist einerseits in der Patientenversorgung genetische Beratung bei fraglichen vermuteten genetischen Problemen in einer Familie und die Laboruntersuchungen. Und natürlich als universitäres Institut betreiben wir Forschung, über die wir noch sprechen werden. Und die Lehre, Ausbildung für Studenten ist auch natürlich unser Aufgabenbereich.

Friederike Süssig-Jeschor: Sie haben es erwähnt. Sie agieren an der Schnittstelle zwischen Forschung und Patientenversorgung. Wie kann das dem Patienten nützen? Wieso ist das so wichtig?

Prof. Martin Zenker: Na ja, Genetik ist ja im Prinzip wirklich Ursachenforschung. Das heißt, wir sind wirklich an der Wurzel einer bestimmten Erkrankung. Und das zu erkennen, diese Grundlage einer Erkrankung zu erkennen, bringt uns natürlich auch weiter die Krankheit zu verstehen und dann möglicherweise gezieltere Therapien zu entwickeln. Und das hat natürlich eine enorme Bedeutung für die Patienten. Ganz abgesehen davon, dass die Klärung einer genetischen Erkrankung natürlich für die Familie, für die Einschätzung von Wiederholungswahrscheinlichkeiten in der Familie eine große Rolle spielt.

Friederike Süssig-Jeschor: Eine dieser Erkrankungen schauen Sie sich ganz genau an. Seit mehr als 20 Jahren erforschen Sie mittlerweile das menschliche Genom und die molekularen Ursachen von RASopathien. Das ist eine dieser speziellen Gruppen sehr seltener Erkrankungen. Was bedeutet es denn eine seltene Erkrankung zu haben? Vielleicht können Sie das unseren Hörern noch mal kurz und knapp versuchen zu vermitteln.

Prof. Martin Zenker: Ja, von der seltenen Erkrankung spricht man ja rein formal, wenn die Häufigkeit der Erkrankung in der Bevölkerung weniger als 5 von 10.000, also 1 zu 2.000 ist. Und es sind teilweise seltene und extrem seltene Erkrankungen, zum Teil solche, wo es nur fünf oder zehn betroffene Menschen auf der Welt gibt. Davon sind ein großer Teil, nicht alle, also etwa 80 Prozent genetisch bedingte Erkrankungen. Umgekehrt kann man sagen, dass fast alle genetisch bedingten Erkrankungen seltene Erkrankungen sind. Und die haben doch viele Gemeinsamkeiten. Es handelt sich oft um chronische Erkrankungen, das heißt, die sind wirklich lebensbegleitend vorhanden. Es handelt sich also um Erkrankungen, die oft mehrere Organsysteme betreffen, die die Lebensqualität, aber auch die Lebenserwartung erheblich einschränken können. Und es gibt eben auch noch den Aspekt, dass es mehrere Erkrankte in der Familie geben kann durch die Vererbbarkeit bei dieser Erkrankung.


Friederike Süssig-Jeschor:
 Können Sie uns mal ein paar Beispiele nennen, dass wir eine Vorstellung bekommen?

Prof. Martin Zenker: Na ja, vielleicht einen Namen, den man mal gehört hat: Mukoviszidose. Eine Lungenerkrankung, wo der Schleim so zäh ist und es deswegen zu einer chronischen Zerstörung der Lunge kommt. Da ist ja die Ehefrau des ehemaligen Bundespräsidenten, Frau Herzog, Schirmherrin auch dieses Mukoviszidose e.V. gewesen. Dann angeborene Stoffwechselerkrankungen. Solche, die bei jedem Kind im Neugeborenen-Screening erfasst werden, gehören zu diesen seltenen Erkrankungen. Aber auch viele Formen von geistiger Behinderung sind tatsächlich seltene genetische Erkrankungen. Und nicht zuletzt darf man nicht vergessen, dass es auch für einige häufige Erkrankungen seltene Varianten gibt, zum Beispiel seltene genetische Demenzformen, seltene Tumorerkrankungen, die mit erblichen Tumoren einhergehen, wie erblicher Brustkrebs oder ähnliche noch seltenere Erkrankungsformen. Beispielsweise auch extremer Kleinwuchs ist meistens eine seltene Erkrankung und die Liste ließe sich noch unendlich verlängern.

Friederike Süssig-Jeschor: In Zahlen ausgedrückt: 4 Millionen Menschen leiden in Deutschland an einer dieser seltenen Erkrankungen, in Europa sind es 30 Millionen. Dennoch spricht man oft von den „Waisen der Medizin“, wieso?

Prof. Martin Zenker: Na ja, bei den Erkrankungen ist der eine Punkt schon, dass die meisten Ärzte diese Erkrankungen nicht kennen. Und man kann eine Diagnose oft nur stellen, wenn man eine Erkrankung schon mal gesehen hat. Das reine Buchwissen reicht oft nicht. Das führt schon dazu, dass die Erkrankungen deutlich verspätet, teilweise erst nach Jahren wirklich diagnostiziert werden. Dann ist es so, dass auch in der Versorgung, wenn mal eine Diagnose steht, es schwierig ist, einen wirklichen Fachspezialisten zu finden und viele Patienten dann doch irgendwie alleine stehen, zwar mit einer Diagnose, aber keiner adäquaten Behandlung. Und dann ist es so, dass auch die Entwicklung von Therapien, die wirklich an der Wurzel der Erkrankung ansetzen, sehr, sehr viel langsamer geht, wie bei anderen Erkrankungen. Die pharmazeutische Industrie hat nachvollziehbarer Weise nur ein begrenztes Interesse, sich mit Erkrankungen zu befassen und Medikamentenentwicklung, wo es nur 100 betroffene Patienten in einem Land gibt. Und das macht diese Erkrankung einfach zu diesen Waisen.


Friederike Süssig-Jeschor: Kommen wir zurück auf Ihren Forschungsschwerpunkt. Sie befassen sich unter anderem ganz konkret mit dem Noonan-Syndrom. Dieses Syndrom zählt zu diesen eingangs erwähnten RASopathien. In Deutschland geht man von 20.000 Betroffenen aus. Was ist denn über diese Erkrankung bekannt?

Prof. Martin Zenker: Ja, das ist eine Erkrankung, die seit den 60er Jahren erstmals beschrieben und es als klinisches Bild charakterisiert ist. Die Hauptmerkmale sind bestimmte angeborene Herzfehler, eine Wachstumsverzögerung, die zu Kleinwuchs führt. Äußerliche Merkmale, an der man die Erkrankung zum Teil oder sehr häufig, zumindest wenn man die Expertise hat und die Erkrankung schon kennt, erkennen kann. Dazu kommen noch Entwicklungsauffälligkeiten, auch eine gewisse erhöhte Tumorneigung, durchaus auch sehr schwerwiegende Komplikationen, die auftreten können.

Das Bild ist sehr breit. Es gibt Menschen, die die Erkrankung haben und in ihrem Leben keine Diagnose bekommen, auch sich nicht als krank empfinden. Sehr milde Ausprägung, aber gerade auch bei Varianten dieser Erkrankung, das ist eine Gruppe von überschneidenden Krankheitsbildern, gibt es auch zum Beispiel schwerwiegende, zur geistigen Behinderung führende Entwicklungsstörungen oder andere schwerwiegende Komplikationen.

Friederike Süssig-Jeschor: Was genau haben Sie in Ihrer Forschung untersucht und was konnten Sie bereits herausfinden?

Prof. Martin Zenker: Na ja, wir sind seit den frühen 2000er-Jahren zunächst in meiner Tätigkeit in Erlangen und dann in Magdeburg an der Suche nach den Genen für das Noonan-Syndrom und verwandte Erkrankungen beteiligt. Diese Suche hat dazu geführt, dass wir heute eigentlich fast bei allen Patienten, die diese Erkrankung haben, die genetische Ursache auch finden können und die Erkrankung damit nachweisen können. Das heißt, wir können eine zuverlässige Diagnose stellen.

Wir befassen uns auch stark mit der Frage, inwiefern diese doch sehr unterschiedliche Ausprägung der Erkrankung mit der individuellen genetischen Veränderung zu tun hat. Weil wir glauben, dass es nicht Zufall ist, dass der eine Patient eine schwerwiegende Ausprägung und schwere Komplikation hat, der andere Patient sehr mild betroffen ist. Wir wissen jetzt auch schon und dieses Bild muss sich natürlich noch schärfen, dass es gerade bestimmte Mutationen sind, die bestimmte genetische Veränderungen, die mit besonderen Komplikationen, besonderen Ausprägungen der Erkrankung einhergeht.

So können wir dann auch zukünftig einfach auch die Prognose und vielleicht auch die Vorsorgeuntersuchung bei den Patienten besser steuern, wenn wir die genetische Veränderung kennen. Und dann geht die Forschung jetzt einfach auch in die Richtung, dass man besser verstehen möchte, was sich in den Zellen überhaupt tut, was sich in den betroffenen Organen tut, wenn so eine Mutation vorliegt. Denn dieses Wissen über die tatsächlichen Mechanismen in Organen und Zellen ist wichtig, um die Ansatzpunkte für gezielte Behandlung zu finden.

Friederike Süssig-Jeschor: Wie müssen wir uns das vorstellen? Sie haben ja einen ganz bestimmten Ansatzpunkt gefunden, ein Target. Wie auch immer man das jetzt nennen mag. Ein Ziel haben Sie ausgemacht und da gibt es einen Defekt. Ist das richtig?

Prof. Martin Zenker: Ja. Was diese Erkrankungsgruppe eint, ist, dass alle Gene, die wir heutzutage kennen, mit einem zellulären Signalweg zu tun hat, den sogenannten Ras-MAP-Kinase oder RAS- Signalweg, der für die Übertragung von Signalen von der Zelloberfläche in den Zellkern verantwortlich ist. Und wir können damit heutzutage sagen, dass im Prinzip Noonan-Syndrom verwandte Erkrankungen sind verwandte Erkrankungen des RAS-Signalwegs.

Deswegen haben sie auch diesen Sammelbegriff RASopathien bekommen. Und dieses Wissen ist natürlich enorm wichtig, weil wir sagen, die haben einen gemeinsamen biologischen Mechanismus. Das heißt, die haben wahrscheinlich, auch wenn man das gezielt behandeln kann, kann man die gleichen Ansätze für die gesamte Gruppe verwenden.

Friederike Süssig-Jeschor: Und um das etwas bildlich zu beschreiben: Ist das ein Defekt in einer Stromleitung oder wie müssen wir uns das vorstellen?

Prof. Martin Zenker: Na ja, es ist nicht ganz so. In Zellen werden Signale nicht durch Stromimpulse übertragen, sondern die Zelle hat dafür im Prinzip Einrichtungen, die wie eine Kettenreaktion von Aktivierungsschritten von Signalmolekülen läuft. Das heißt, an die Oberfläche einer Zelle trifft ein Signal auf ein Hormon, ein Wachstumsfaktor, irgendwelche Signale aus der Umgebung. Ansonsten steht die Zelle ja für sich, kann nicht kommunizieren und die Bindung des Signals an seinen Rezeptor löst dann in der Zelle die Aktivierung eines nachgeschalteten Moleküls aus, das wiederum aktiviert das nächste und so weiter. Bis letztlich das Signal an den Zellkern durchgeleitet ist. Und das ist natürlich auch ganz wichtig, dass diese aktivierten Signalmoleküle wieder zurückfallen in den inaktivierten Zustand. Sonst würde man ja einmal angeschaltet ein Dauersignal haben. Das ist, wie, wenn ihr Gaspedal im Auto hängen würde und Sie einmal draufdrücken und dann fährt es mit voller Geschwindigkeit weiter und es gibt weitere regulatorische Einrichtungen, sodass es insgesamt ein ganz fein ausbalanciertes System ist.

Und das Interessante bei Noonan-Syndrom verwandten Erkrankungen ist eben, dass es nicht ein Defekt in dem Sinn dieses Systems ist, sondern eine Überaktivierung. Das heißt, diese mutierten Signalproteine fallen langsamer zurück in ihren inaktiven Zustand. Das heißt, es ist einfach ein vermehrter Signalfluss und der stört einfach viele zelluläre Prozesse. Wir wissen, dass dieser RAS-Signalweg im Prinzip von jeder Zelle verwendet wird, zu ganz unterschiedlichen Zwecken. Steuerung von Stoffwechsel, von Differenzierung, von Zellwachstum und dergleichen. Aber der Fehler in dieser Feinsteuerung, in der feinen Regulierbarkeit des Systems ist das Problem, das wir identifiziert haben.

Friederike Süssig-Jeschor: 2001 wurde das erste ursächliche Gen für das Noonan-Syndrom entdeckt. Sie selbst haben zusammen mit Forschern aus Freiburg und San Francisco das zweite Gen entdeckt. Mittlerweile zählt man für das Noonan-Syndrom und verwandte Erkrankungen etwa 20 Gene, an deren Entdeckung Sie zum größten Teil ebenfalls beteiligt waren. Möglich gemacht hat diese Entdeckung der enorme technische Wandel, den das Fachgebiet in den vergangenen Jahrzehnten erlebt hat. Können Sie uns mal einen kurzen Einblick geben? Was hat sich denn in Sachen gentechnischer Diagnostik und auch Behandlung alles getan?

Prof. Martin Zenker: Ja, Sie müssen sich vor Augen halten, dass die Entschlüsselung des menschlichen Erbgutes ja über zehn Jahre gedauert hat, Milliarden an Geld verschlungen hat, bis man endlich die menschliche Genom-Sequenz dann Anfang der 2000er-Jahre kannte. Heutzutage kann man das Erbgut eines Menschen in einer Woche analysieren und es kostet noch an reinen Sachmitteln so etwa 500 €. Das hat natürlich die Möglichkeiten auch in der Diagnostik enorm verändert. Wenn man früher eine genetische Diagnostik machen wollte, musste man erstens eine ganz klare Vorstellung haben, was es für eine Erkrankung ist. Also eine ganz gezielte Frage stellen. Und dann musste das Gen dafür bekannt sein oder konnte man eine ganz gezielte Untersuchung dieses einen Gens machen. Heute können wir, auch wenn nur der Verdacht ist, es könnte sich um eine genetisch bedingte Erkrankung handeln. Ich kann sie nicht genau zuordnen. Viele sind so unspezifisch, dass man sie gar nicht sofort mit einem Namen benennen kann. Aber ich kann praktisch eine breite genetische Analyse machen und dann einfach schauen, wo ist eine Veränderung. Und wenn ich was finde, dann ist es natürlich wieder: Passt es zu dem Erscheinungsbild des Kindes, des Patienten und dann kann man sagen: Ja, wir haben die Ursache gefunden.


Friederike Süssig-Jeschor: Sie haben eben erwähnt, das Fachgebiet, also die Geschwindigkeit, hat sich enorm verändert. Wie wichtig ist denn der Zeitpunkt der Diagnose? Am Beispiel des Noonan-Syndroms.

Prof. Martin Zenker: Ja, das ist durchaus sehr wichtig, denn es geht schon darum, wenn dann Krankheitserscheinungen auftreten, die besser einordnen zu können, dass andere Untersuchungen, die dann immer gemacht werden, wenn ein Kind Auffälligkeiten hat, die man nicht erklären kann, wird eine Vielzahl von Untersuchungen gemacht, die das Kind auch belasten mit der genetischen Diagnose. Wenn die mal steht, kann man auf viele dieser zusätzlichen Untersuchungen verzichten. Dann noch Stoffwechsel, dann noch ein MRT von dem Organ oder vom Gehirn zu machen. Das ist, denke ich, wichtig. Natürlich auch die Einschätzung der Prognose, den Eltern mitteilen zu können, was die Erkrankung bedeutet, gegebenenfalls auch gezieltere Vorsorgeuntersuchungen zu machen. Und dann ist es natürlich so: Es gibt bei dieser Gruppe von Erkrankungen bestimmte schwerwiegende Komplikationen, wo es heutzutage möglich ist, wirklich auch schon gezieltere Therapien, das ist im Moment noch off-Label, das heißt ohne Zulassung, zu starten. Zum Beispiel schwere Herzbeteiligung beim Noonan-Syndrom, schwere Lymphgefäßprobleme oder auch Tumoren und Leukämien. Und nicht zuletzt ist zum Beispiel die Wachstumshormonbehandlung eine Behandlung, die man machen kann, um den Kleinwuchs zu verbessern, wenn die Diagnose steht.

Friederike Süssig-Jeschor: Was würden Sie sagen? In der Regel ist es ja der Kinderarzt oder später der Hausarzt, der seine Patienten und deren Familiengeschichte am besten kennt. Sind diese für die Humangenetik ausreichend sensibilisiert oder wie gelangen die Patienten zu Ihnen?

Prof. Martin Zenker: Wir können nicht erwarten, dass Kinderärzte oder Hausärzte alle seltenen Erkrankungen und auch das Noonan-Syndrom ist ja eigentlich noch eines der häufigeren unter den Seltenen, kennen. Da gibt es oft nur rudimentäre Vorstellungen, was es ist und große Unsicherheit, ob ein Kind es wirklich ist, die für diese Diagnose in Frage kommt. Wir sehen aber schon, dass die Sensibilität und auch die Erkenntnis, dass die Humangenetik heute Dinge lösen kann und klären kann, die man früher nicht klären konnte, schon gestiegen ist.

Und es reicht uns eigentlich, wenn die Kollegen, Kinderärzte, Allgemeinärzte so aufmerksam sind und sagen: Da ist was Ungewöhnliches in der Familie, da könnte eine genetische Erkrankung zugrunde liegen und die Patienten zu uns kommen. Im Fall des Noonan-Syndroms ist beispielsweise der Herzfehler der des Kindes, der zur Diagnose führen kann. Es kann dann später die Wachstumsverzögerung sein. Kinder kommen aus Wachstumssprechstunden mit ungeklärtem Kleinwuchs, wo wir dann ein Noonan-Syndrom feststellen oder auch in selteneren Fällen mal das Auftreten so einer frühen kindlichen Leukämie, die zur Diagnose führt.

Friederike Süssig-Jeschor: Jetzt haben die Patienten oder auch betroffenen Familien zu Ihnen gefunden. Wie genau läuft denn nun so eine humangenetische Beratung ab? Und was ist eigentlich für die Diagnostik nötig? Eine Blutprobe?

Prof. Martin Zenker: Ja, also zunächst mal zur Beratung. Die genetische Beratung beinhaltet einerseits, dass man die Vorbefunde sichtet, um sich wirklich ein umfassendes Bild über die in Frage stehende Erkrankung zu machen. Es wird immer ein Stammbaum erhoben, um zu überprüfen, ob es ähnliche Erkrankungen in der Familie gibt oder andere genetische Risiken, die da aussagekräftig sein können. Und natürlich wird auch eine ganz normale klinische Untersuchung gemacht, um überhaupt das Krankheitsbild vollständig zu erfassen und auch zu dokumentieren.

Für die genetische Labordiagnostik ist eine Blutprobe möglich, ist allerdings im Grunde genommen aus jeder Körperzelle. Wir machen das gelegentlich bei Kindern auch aus Speichelproben, um die Blutprobe zu ersparen. Wir können bei bestimmten Fragestellungen auch aus Gewebeproben genetische Diagnostik machen.

Also irgendein Material, das eben DNA enthält, ist wichtig für die Diagnostik. Dann, dass es eine Einwilligung gibt. Da sind die gesetzlichen Regelungen sehr klar, dass genetische Untersuchungen nur mit einer rechtskräftigen Einwilligung der Patienten bzw. Betreuungsperson, Elternbetreuer gemacht werden kann. Ja, das sind so die Bedingungen.

Friederike Süssig-Jeschor: Und wie geht es nach der Diagnosestellung dann weiter? Denn wenn ich Sie richtig verstanden habe, bietet die genetische Diagnostik ja so etwas wie einen Blick in die Zukunft, so dass die Risiken für bestimmte Erkrankungen dadurch natürlich eventuell auch früher erkannt werden können.

Prof. Martin Zenker: Ja, also mit der genetischen Diagnose beginnt die Aufgabe eigentlich erst, denn da geht es eben darum, dass wir die Patienten nicht mit dieser Information alleine stehen lassen. Das heißt, es ist wichtig, den Patienten ein Versorgungsangebot zuzuführen, das für diese Erkrankung spezialisiert ist. Sofern es ein solches gibt, ist natürlich, wenn auch nicht für jede ultraseltene Erkrankung vorhanden.

Im Fall der RASopathien sind wir natürlich die Experten und können das übernehmen. Und dann versuchen wir einfach, das zu steuern, welche Untersuchungen gemacht werden, die Familie zu beraten, aber natürlich auch betreuende Ärzte. Denn nicht alles kann dann wirklich vor Ort in Magdeburg stattfinden, sondern gehört auch viel Kommunikation mit den betreuenden Ärzten, gegebenenfalls Fachkonferenzen, die man aufsetzt, um ein bestimmtes Problem mit den betreuenden Ärzten vor Ort zu besprechen.

Für die Erkrankungen, die wir diagnostizieren, wo wir selber kein so spezialisiertes Angebot haben und eben nicht Experten sind, hat sich in Deutschland ein Netz von Zentren für Seltene Erkrankungen entwickelt, die gut vernetzt sind und im Prinzip die Aufgabe haben, bei Patienten mit einer gestellten Diagnose wirklich die Klinik, die Einrichtung zu finden, die die besondere Expertise hat und da zumindest übergreifend den Patienten mitbetreut und die Behandlung und Betreuung mit steuert.

Es gibt auch Patienten, die ohne Diagnose bleiben. Und auch da spielen diese Zentren für Seltene Erkrankungen eine große Rolle, weil sie im Rahmen von multidisziplinären Fallkonferenzen dann eben noch mal erhöhte Anstrengungen unternehmen können, eine Diagnose doch zu stellen und eine Klärung des Krankheitsbildes herbeizuführen, indem Spezialisten und Experten aus den verschiedensten medizinischen Bereichen sich dann mit so einem Fall befassen.

Friederike Süssig-Jeschor: Wieso ist diese Hilfestellung denn noch wichtig? Denn es geht ja nicht nur darum, dass man die Krankheit versteht. Was tut sie mit mir? Sondern sie hat ja auch Auswirkungen auf das gesamte Leben im Zweifel. Wie unterstützen Sie da als MKSE oder als Institut?

Prof. Martin Zenker: Ja, das ist richtig. Das sind ja, wie ich schon eingangs sagte, lebensbegleitende Erkrankungen. Man muss sagen, dass die Patienten selber oder die Familien tatsächlich oft die Experten für die Erkrankung werden. Deswegen müssen wir dafür sorgen, dass die Patienten selbst auch gut informiert sind über die Erkrankung. Denn nicht jeder Arzt, der dann mit dem Patienten involviert ist, hat die Kenntnis. Und dazu ist es auch wichtig, dass wir dafür sorgen, dass es wirklich wissenschaftlich fundierte Kenntnisse sind, die die Patienten über die eigene Erkrankung haben.

Friederike Süssig-Jeschor: Mit der Kenntnis über einen wahrscheinlichen zukünftigen Krankheitsausbruch zu leben, kann ja sehr belastend sein. Wie wichtig ist deshalb ein sorgfältiger Umgang mit dem Wissen, das Sie aus genetischer Diagnostik gewinnen? Wie gehen Sie mit diesen ethischen Problemen der modernen Humangenetik um?

Prof. Martin Zenker: Ja, das ist richtig, dass das Wissen um eine genetisch bedingte Erkrankung oder ein genetisch bedingtes Risiko, für eine sich später entwickelnde Erkrankung, Dinge, die man jetzt noch gar nicht sehen kann, natürlich sehr belastend sein kann. Für uns ist wichtig, dass man eine genetische Untersuchung nur wirklich mit einer Indikation macht. Das heißt, ich muss wissen, für was, für welches Symptom oder für welche Störung ich wirklich nach einer Ursache suche.

Eine breite genetische Abklärung ohne Anlass würde ich für ethisch nicht vertretbar halten. Trotzdem lässt sich das natürlich nicht hundertprozentig durchhalten, denn gerade, wenn die Kinder noch sehr klein sind, haben sie zwar einen Anlass für die genetische Untersuchung, aber beantworten damit plötzlich doch Fragen, die weit in die Zukunft gehen und die Dinge betreffen, wie zum Beispiel die Entwicklung, die im Moment noch gar nicht vor Augen liegen.

Insofern ist es schon auch zum Teil eine belastende Diagnose, so eine genetische Erkrankung diagnostiziert zu bekommen, mit allen Konsequenzen, mit der Lebenslänglichkeit dieser Diagnose und der möglichen langfristig viel bedeutsameren Auswirkung als das, was eigentlich Anlass der Untersuchung war.

Friederike Süssig-Jeschor: Birgt denn die Anwendung genetischer Diagnostik auch Risiken? Oder anders gesagt: Gibt es rote Linien, die man nicht überschreiten sollte?

Prof. Martin Zenker: Ja, die Risiken in der Diagnostik liegen darin, dass es eben, dass wir zum Teil eben doch Fragen beantworten, die noch gar nicht im Raum standen. Und dass es eben dieses ethische Dilemma aufwirft, das wir gerade diskutiert haben. Bei umfangreichen Untersuchungen, wo man das gesamte Erbgut mehr oder minder durchforstet, kann man auch teilweise auf Zufallsbefunde stoßen, nachdem man gar nicht gesucht hat, wie zum Beispiel Veranlagung für Krebserkrankungen. Da gibt es aber in dem Einwilligungsprozess auch die Verpflichtung, das mit den Betroffenen zu besprechen und zu sagen: Wenn wir solche Befunde sehen, die mit der eigentlichen Fragestellung nichts zu tun haben, aber Relevanz für die Familie haben können, sollen wir die mitteilen? Soll die nicht mitgeteilt werden? Das sind so die – ja, wenn man so will – vielleicht Risiken.

Rote Linien, ich denke im diagnostischen Bereich sehe ich die dort, wo eben anlasslos oder bei nicht klarem Anschluss extrem breite Untersuchungen gemacht werden, die dann eben mit einer hohen Wahrscheinlichkeit irgendwelche Befunde oder zumindest unklare Ergebnisse produzieren. Ich denke gerade im pränatal-diagnostischen Bereich, also vor Geburt, muss gut überlegt werden und muss es rote Linien geben, was man untersucht und was man eben nicht untersucht. Was sehr klar geregelt ist, ist beispielsweise, dass man bei Kindern keine genetischen Untersuchungen auf spätmanifestierende Erkrankungen, also solche, die erst im Erwachsenenalter relevant werden, wie Demenz oder Krebserkrankung machen soll. Das soll das Individuum selbst entscheiden dürfen, wenn es erwachsen ist, ob es diese Information haben will oder nicht.

Im Bereich der Behandlung genetischer Erkrankungen oder Eingriffe ins Erbgut, denke ich, ist ein Grundsatz, dass der Eingriff auch eine Aussicht haben muss, wirklich zum Nutzen der Patienten zu sein. Das heißt nicht zum Beispiel eine schwerwiegende und vielleicht auch mit einem frühen Versterben endende Erkrankung dann eine langwierige, aber trotzdem zu einer schweren Behinderung und dann zum Tod führenden Erkrankung zu überführen. Ich denke, dass diese sogenannte Genschere CRISPR/ CAS, über die ja viel auch gesprochen wird, dass die so viel kann, die kann auch sehr viel, dass die im Moment zumindest für die Anwendung im lebenden Organismus noch nicht die Reife hat, weil die doch auch sozusagen Veränderungen an anderen Stellen als den eigentlichen Zielstellen im Erbgut machen kann.

Das, was wir eingangs auch diskutiert haben: Eingriffe in die Keimbahn, das heißt also die Manipulation des Erbguts bei einem im Reagenzglas hergestellten, durch künstliche Befruchtung hergestellten Embryo, die halte ich für ethisch grundsätzlich nicht vertretbar. Und ehrlich gesagt, sehe ich auch gar keinen Grund so etwas zu machen. Man muss zu dieser, zu diesem, was damals in China gemacht worden ist und übrigens nur auf einem Kongress vorgestellt, niemals publiziert worden ist. Dazu muss man einfach sagen, das wurde nur gemacht, weil es technisch möglich war. Es gab überhaupt keinen medizinischen Grund für diesen Eingriff und ich sehe auch zukünftig da keinen Grund. Ganz einfach aus dem Grunde, dass wenn ich ein Embryo im Reagenzglas durch künstliche Befruchtung erzeuge und eine genetische Erkrankung in der Familie habe, dann ist es immer noch einfacher, die Embryos zu untersuchen und nur die zu implantieren, die den genetischen Defekt nicht haben, als an den anderen, die den genetischen Defekt haben, eine Korrektur zu versuchen.


Friederike Süssig-Jeschor: Auf der anderen Seite, gibt es ja schon Verfahren, Gentherapien und genetische Verfahren zur Behandlung, die bereits erfolgreich eingesetzt werden. Vielleicht können Sie uns dazu auch noch ein paar Beispiele nennen.

Prof. Martin Zenker: Ja, die Hoffnungen sind ja seit vielen Jahren sehr groß, dass ja gentechnische Verfahren zur Therapie von genetischen Erkrankungen eingesetzt werden können. Die hat auch viele Rückschläge hinnehmen müssen. Es ist einfach grundsätzlich schwierig, in viele Zellen gezielt ein bestimmtes Gen einzubringen oder eine gezielte Veränderung zu machen. Trotzdem gibt es jetzt tatsächlich erste Erfolge. Ich denke, eine der bekanntesten Therapien, die auch als die 1-Millionen-Dollar Therapie durch die Presse gegangen ist, ist die gentherapeutische Behandlung bei der Spinalen Muskelatrophie. Das ist eine Muskelerkrankung, wo es zu einem sehr schnellen Abbau von Muskulatur beim Kind kommt und dort gibt es eine zugelassene Therapie, die tatsächlich auch schon sehr breit eingesetzt wird. Trotzdem wissen wir noch nicht, wo diese Patienten tatsächlich enden. Eine komplette Heilung wird es nicht sein. Es wird eine Verbesserung der Erkrankung sein. Erfolge gibt es auch bei bestimmten Bluterkrankungen und Immunerkrankungen, wo man die Möglichkeit hat, die Knochenmarkzellen im Reagenzglas sozusagen der Gentherapiebehandlung zuzuführen und dann wieder an den Patienten im Sinne einer autonomen Knochenmarktransplantation zurückzugeben.

Da entgeht man eben dem, dass man dem gesamten Organismus, diesen gentherapeutischen Verfahren aussetzen kann. Ich denke, was auf jeden Fall eine ganz große Zukunft hat, vielleicht nicht so in das Feld der Humangenetik fällt, sind Verfahren, die in der Tumortherapie eingesetzt wird, zum Beispiel mit modifizierten Immunzellen, die dann das Immunsystem scharf machen, den Tumor zu bekämpfen. CAR-T-Zell-Therapie nennt man das. Dort gibt es auch die meisten bisher zugelassenen gentherapeutischen Verfahren.

Ja, und viele Dinge sind in den Pipelines entweder in der Forschung oder auch schon im Zulassungsprozess, da werden wir noch viel sehen in den nächsten Jahren.

Friederike Süssig-Jeschor: Kommen wir noch mal auf syndromale Erkrankungen zurück. Was halten Sie denn von Technologien wie Face2Gene? Das heißt also eine künstliche Intelligenz oder eine App, die verspricht, anhand von Gesichtsmerkmalen bestimmte Syndrome erkennen zu können?

Prof. Martin Zenker: Grundsätzlich ist künstliche Intelligenz natürlich was, was die Gesellschaft, viele Bereiche und natürlich die Medizin verändern wird und viel Einfluss gewinnen wird. Und es ist ganz klar, dass die Humangenetik mit den großen Datensätzen, mit denen wir umgehen sollen, ein Genom ist im Prinzip ein großer Datensatz, aber auch ein Phänotyp, also ein Erscheinungsbild wie ein Gesicht ist ein Datensatz und KI-Methoden können da tatsächlich hilfreich sein.

Die genannte Software, die ja dazu in der Lage ist, die syndromalen Züge eines Gesichts zu erkennen und zu sagen, das könnte Noonan-Syndrom sein, das ist ein Down-Syndrom, das ist ein anderes Syndrom, ist durchaus hilfreich für die Erkrankungen, die sich durch charakteristische Merkmale im Gesicht bemerkbar machen. Das tun ja bei weitem nicht alle Erkrankungen, aber dort, wo es ein typisches Gesicht gibt, haben die tatsächlich eine Trefferquote, die wahrscheinlich auch den sehr guten Humangenetiker übersteigt.

Zumindest für die Erkrankungen, die er nicht sein tiefstes Feld der Expertise sind, die er schon hundertmal gesehen hat. Es gibt inzwischen auch den Einbau von solchen Gesichtserkennungsverfahren, wenn man so will, oder von diesen Daten aus der Gesichtsanalyse, in so automatisierte Auswertealgorithmen, mit dem man dann die genetischen Informationen aus der reinen Gendiagnostik filtert. Man gibt also nicht nur die ein, dass das die Personen Herzfehler, einen Kleinwuchs, eine Entwicklungsverzögerung hat, sondern auch noch sozusagen den Score aus der Gesichtsanalyse. Und dann können die Algorithmen sagen: Ja, da haben wir eine Veränderung in einem Gen gefunden, da passt alles. Sowohl die körperlichen Merkmale, aber auch das Gesicht ist gut vereinbar.

Friederike Süssig-Jeschor: Also ich merke schon eine Begeisterung, wenn es um Tools geht bei Ihnen. ist es das, was Sie sich als nächste Errungenschaft für die Genetik wünschen würden. Oder ist es doch mehr vernetzte Daten zum Beispiel?

Prof. Martin Zenker: Ich glaube nicht daran, dass es das universelle Werkzeug gibt, das sozusagen für alle Fragen in der Genetik dann die Lösungen bringt, für die diagnostischen Fragen oder auch andere Dinge. Sondern ich glaube aber, dass wir an diesen Innovationen, die es gibt, teilhaben müssen als Humangenetik, die für uns nutzen müssen und ich glaube, im Bereich des Findens von Behandlungen bleibt das doch ein langsames und aufwendiges Puzzlespiel, weil es eben auch keine universelle Behandlung geben wird für alle genetischen Erkrankungen.

Es ist sehr davon abhängig, was wirklich die Mechanismen sind. Nur als Beispiel, wie die RASopathien. Hier würde eine Gentherapie, die das Gen ersetzt, überhaupt nichts bringen, weil wir haben ja eine Überaktivierung. Jetzt geben sie dann noch mehr von den Genen hinzu. Das würde das Problem ja eher verstärken. Hier müssen wir anders als bei anderen Erkrankungen überlegen, wie können wir diese Aktivierung zurückdrehen?

Und da sind wir plötzlich bei ganz anderen Verfahren, die zum Beispiel in unserem Falle Inhibitoren dieses Signalweges betreffen. Die gar nicht Gentherapeutika, sondern vielleicht chemische Medikamente sind.

Friederike Süssig-Jeschor: Sehr spannendes Feld. Wir sind alle gespannt, wie sich das weiterentwickeln wird. Letzte Frage: Wie lange bleibt das Designer Baby mit definierter Augenfarbe, hoher Intelligenz und bestimmten Talenten noch Science-Fiction? Natürlich mit einem Schmunzeln.

Prof. Martin Zenker: Ich hoffe, dass es für immer Science-Fiction bleibt. Und ich denke auch, dass man für solche Merkmale, die Sie nennen: Augenfarbe, Körpergröße, Intelligenz, die ja komplex vererbt werden und viele genetische Einflüsse haben, sehe ich gar nicht die Möglichkeiten, das sozusagen verbessernd, wirklich effektiv zu tun, ohne die ganzen Risiken des Eingriffs ins Erbgut einzugehen. Deswegen glaube ich tatsächlich und hoffe, dass das niemals relevant wird.

Es ist ja was ganz anderes, einen schwerwiegenden genetischen Defekt durch einen Eingriff zu verbessern, als an irgendwelchen kleinen genetischen Merkmalen versuchen zu schrauben, um Menschen zu optimieren.

Friederike Süssig-Jeschor: Absolut. Damit sind wir am Ende unseres interessanten Gesprächs. Herzlichen Dank an Sie, Professor Zenker. Tschüss und bis zum nächsten Mal.

Prof. Martin Zenker: Ja, vielen Dank.

Outrostimme: Wissen, wann du willst? Der Podcast zur Forschung an der Uni Magdeburg. 

Letzte Änderung: 28.02.2023 - Ansprechpartner: Webmaster