Entfremdung zwischen etablierter Politik und Wählerschaft
Sachsen-Anhalt hat gewählt und die etablierten Parteien haben verloren. Aus dem Stand erreichte die AfD über 24 Prozent. Um weiter regieren zu können, müssen sich die bisherigen Regierungsparteien CDU und SPD nun einen Bündnispartner suchen. Über das Wahlergebnis und Folgen für die Landespolitik sprach Katharina Vorwerk kurz nach der Wahl mit dem Politikwissenschaftler der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Prof. Dr. Wolfgang Renzsch.
Bei den Landtagswahlen am 13. März 2016 schaffte es die Alternative für Deutschland auf Anhieb in den zweistelligen Bereich. Mit Abstand den größten Wahlerfolg konnte die AfD in Sachsen-Anhalt verbuchen. Worin sehen Sie die Ursachen?
Wir haben in den zurückliegenden Jahren merkliche Desintegrationsprozesse in unserer Gesellschaft erlebt. Kirchen, Gewerkschaften, Vereine und Verbände, insbesondere aber auch Parteien haben viel von ihrer Integrationskraft verloren. Dadurch ist ein politisches Vakuum entstanden, in das die AfD hineinstoßen konnte. Ihr kam dabei zugute, dass, überdeckt von einer insgesamt positiven wirtschaftlichen Entwicklung, die Kluft zwischen denen, die Chancen in der Gesellschaft haben und denen, die sich zunehmend mehr ‚abgehängt’ fühlen, zugenommen hat. Das Gefühl, im verschärften sozialen und wirtschaftlichen Wettbewerb Verlierer zu sein, führt zu Frustrationen, die sich dann im Wahlverhalten niederschlagen. Wir müssen daher mehr Gedanken und Ressourcen darauf verwenden, wie wir die Gesellschaft wieder zusammenhalten.
Welche Koalitionen sind möglich und welche realistisch?
In Sachsen-Anhalt ist mit dem verpassten Einzug der FDP in den Landtag die Koalition eigentlich klar: CDU – SPD – Grüne. Die Signale der Parteien, dass es in diese Richtung geht, sind eindeutig. Aber interessant wird es natürlich beim Feilschen um Bedingungen und Posten. Das wird jetzt beginnen und vielleicht noch für Überraschungen sorgen.
Welche Rolle kann eine geschwächte SPD mit der Fraktionsvorsitzenden Katrin Budde in dieser Koalition noch spielen?
Ich vermute, dass sie trotz der Wahlschlappe, die zu einem erheblichen Teil auch ‚hausgemacht’ ist, ein Ministeramt übernehmen wird. Im Moment kann ich nicht erkennen, dass es in der SPD Kräfte gibt, die sie ablösen könnten oder wollten.
Was erwarten Sie vom Einzug der Grünen auf die Regierungsbänke?
Bisher haben die Grünen in den anderen Bundesländern, in denen sie Regierungsverantwortung haben, ordentliche Arbeit geleistet. Ich sehe keinen Grund, warum sie das nicht auch in Sachsen-Anhalt tun könnten. Mögliche Ressorts wären Umwelt oder Kultus.
Was wird sich aus Ihrer Sicht in der Landespolitik ändern?
Das hängt davon ab, welche Schlussfolgerungen die Regierungsparteien aus dem Wahlergebnis ziehen. Ich hoffe, die Parteien gehen ernsthaft die Frage an, warum eine solche Entfremdung zwischen etablierter Politik und Wählerschaft stattgefunden hat. Solange Enttäuschungen – gerechtfertigt oder nicht – sich in Wahlenthaltung niederschlugen, hat man das ignoriert. Insofern ist das Wahlergebnis auch ein Alarm.
Was würden Sie als Politikexperte der noch zu bildenden Regierung raten?
Wähler der AfD für die demokratischen Parteien zurück zu gewinnen, ist keine leichte Aufgabe und sicherlich nicht nur eine Frage der Landespolitik. Ich rate ab von kurzfristigen Schnellschüssen, sondern empfehle, langfristig mehr für die Integration der in der Gesellschaft Benachteiligten zu tun.
Vielen Dank für das Gespräch!