#8: Warum es kein Leben ohne Angst gibt
Wir alle haben vor irgendetwas Angst: vor Spinnen, Höhe, engen Räumen und vor allem vor unbekannten Dingen – wie einer Impfung mit den neuartigen Corona-Impfstoffen. Es gibt sogar Menschen, die Angst vor Knöpfen haben. Doch wie entstehen Ängste? Wie viel Angst ist normal? Und wie können wir lernen, mit ihr zu leben oder noch besser: sie zu überwinden? In der neuen Folge „Wissen, wann du willst“ beantworten die Psychologinnen Emily Bauske und Dr. Jeanne Rademacher genau diese Fragen und erklären, warum es sogar gut ist, Angst zu haben und warum ängstliche Menschen bessere Beziehungen führen.
Heute zu Gast
Emily Bauske ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Dozentin am Lehrstuhl für Sozial- und Persönlichkeitspsychologie. Sie studierte an der Universität Magdeburg Psychologie mit dem Schwerpunkt Umweltpsychologie. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf der Verhaltensrelevanz von Meinungsaussagen. Zu Beginn der Corona-Pandemie hat die Nachwuchswissenschaftlerin untersucht, unter welchen Bedingungen die Öffentlichkeit die Maßnahmen der Politik akzeptiert und das eigene Verhalten darauf anpasst.
Als wissenschaftliche Mitarbeiterin forscht und lehrt Dr. Jeanne Rademacher am Lehrstuhl für klinische Entwicklungspsychologie zu den Themenbereichen Identität, Bewältigung kritischer Lebensereignisse sowie klinische Erkrankungen. Auch die Förderung mathematischer Fähigkeiten im Vorschulalter zählt zu ihren Forschungsschwerpunkten.
Der Podcast zum Nachlesen
Introstimme: Wissen, wann du willst. Der Podcast zur Forschung an der Uni Magdeburg.
Ina Götze: Jeder von uns hat ja vor irgendetwas Angst; sei es vor Spinnen, vor Höhe, vor engen Räumen und es gibt sogar Menschen, die Angst vor Knöpfen haben. Die Ursachen sind so unterschiedlich wie die Ängste und auch wie wir Menschen selber, aber eines haben sie gemeinsam: Wir können sie überwinden. Und die heutige Folge könnte da schon fast eine kleine Therapiesitzung werden, denn zu Gast sind Emily Bauske und Jeanne Rademacher, beide vom Institut für Psychologie, genauer gesagt vom Lehrstuhl für Persönlichkeits- und Sozialpsychologie und aus dem Bereich der Klinischen Entwicklungspsychologie. Und heute spreche ich mit ihnen darüber, warum wir vor unterschiedlichen Dingen Angst haben und was dagegen helfen kann. In diesem Sinne: Herzlich willkommen!
Emily Bauske: Dankeschön für die Einladung.
Dr. Jeanne Rademacher: Ich danke ebenfalls.
Ina Götze: Zum Einstieg muss ich Ihnen gleich eine sehr persönliche Frage stellen. Wovor haben Sie Angst und warum?
Dr. Jeanne Rademacher: Ganz auf die Schnelle, ähm, könnte ich gar nichts konkret benennen, wovor ich Angst habe. Aber wenn ich in mich hineinhorchen würde, dann wäre es tatsächlich eine gewisse Angst vor dunklen Treppenfluren, insbesondere vor Treppen, die in die Dunkelheit hinabführen. Das ist ganz klar eine Kindheitserinnerung, weil wir hatten damals eine Außentoilette und mussten eben ob Tag oder Nacht eine halbe Treppe tiefer gehen und das Flurlicht war sehr oft kaputt und dann musste man so ins Dunkel gehen. Na ja, und wenn man dann noch zu früh falsche Filme geguckt hat, dann ist natürlich vorprogrammiert, dass man da möglicherweise Angst haben könnte. Und tatsächlich jetzt fällt es mir ein, wenn man erst einmal drüber redet, in der jüngsten Vergangenheit phasenweise durchaus auch Respekt, würde ich eher sagen, vor einer Corona-Infektion. Das war’s.
Ina Götze: Verständlich. Und können Sie selber für sich festmachen, warum das so ist, bei der Corona-Infektion jetzt?
Dr. Jeanne Rademacher: Naja, ich sage mal, Ängste existieren ja sowieso. Also ein Leben ohne Angst gibt es ja sowieso schon mal nicht, weil wir als Menschen todesbewusst sind und somit mit einer Urangst im Leben sind. Und diese Corona-Erkrankung kann ja, auch wenn die Wahrscheinlichkeit sehr gering ist, aber sie kann schwer verlaufen. Sie kann sogar tödlich verlaufen, also das heißt, es ist die Angst zu sterben oder vielleicht auch die Angst, noch nicht einmal vor dem eigenen Versterben, sondern vor dem Versterben von wichtigen, also von Personen, die man liebt, oder vielleicht auch die Angst, sein Kind nicht mehr versorgen zu können. Also da sind ja dann ganz viele unterschiedliche Befürchtungen, Ängste – vielleicht wird das ja noch differenziert im Verlauf – beteiligt.
Ina Götze: Und Sie Frau Bauske?
Emily Bauske: Meine Ängste gehen auch ein bisschen in eine ähnliche Richtung, also vor der Corona-Erkrankung habe ich persönlich nicht so große Angst, weil ich das Risiko als eher gering wahrnehme und auch viele Handlungsempfehlungen befolge, von denen ich guter Hoffnung bin, dass sie mich schützen, aber bei mir ist auch so ein bisschen die Angst vor Erkrankung. Ich bin so ein bisschen eine kleine Hypochonderin. Also immer, wen jemand erzählt, dass er oder sie eine bestimmte Krankheit hat oder eine Diagnose bekommen hat, dann denke ich immer, oh je, könnte mich das auch betreffen? Was sind die Symptome? Und dann kontrolliere ich selber an mir noch einmal, ob ich die irgendwie wieder erkennen kann vielleicht. Das ist einerseits anstrengend, also wenn jemand mir erzählt, dass er oder sie eine Krankheit hat, dann bin ich selbst immer erst einmal ein bisschen beängstigt. Andererseits ist es natürlich auch gut, weil es mich dazu bringt, auf diese Zeichen, genau, zu achten oder eben auch Vorsorgeuntersuchungen beim Arzt wahrzunehmen. Das ist ja dann auch wieder der Nutzen von dieser Angst, mich dazu zu bewegen, meinen Körper oder mich selbst auch zu pflegen.
Ina Götze: Sie dürfen nur nicht googeln.
Emily Bauske: Genau, das mache ich auch nicht. Das habe ich so die ersten paar Male gemacht. Mein Freund und ich machen das so, wenn er was hat oder denkt, er hätte etwas, dann google ich das und sage ihm dann nur, nein, das ist es nicht. Und wenn ich denke, ich habe was, dann googelt er das und sagt dann auch, nein das ist es nicht, weil folgende Symptome – oder er sagt gar nichts zu Symptomen. Das trifft einfach nicht auf dich zu und dann ist gut. Dann muss ich nicht … dann weiß ich nicht, was ich für Symptome hätte haben müssen und bilde mir die am Ende vielleicht noch ein, sondern ich weiß einfach nur, nee, das ist es auf jeden Fall nicht. Das ist ein ganz gutes System.
Ina Götze: Schon mal Trick 17 hier zum Einstieg (lacht). Das hilft doch.
Emily Bauske: Ja (lacht). Genau, und die zweite Angst, die ich habe, da habe ich im Vorfeld zum Interview ja schon ein bisschen drüber nachgedacht, ist Höhenangst. Hatte ich früher als Kind eigentlich nicht. Ich bin ganz viel auf Bäume geklettert. Also es gibt auch nicht diese eine Situation oder Kindheitserinnerung, wo ich denke: Ok, das ist es jetzt, sondern einfach so im Laufe des Erwachsenwerdens, habe ich eine gewisse Angst, einen gewissen Respekt vor Höhen entwickelt auch. Genau, also das ist auch so, dass wenn ich im Urlaub, zum Beispiel, auf einen Leuchtturm steige, stehe ich erst einmal am Rand, an der Tür und denke mir so: OK. Ein paar Minuten, um sich zu akklimatisieren und wenn das dann … Wenn ich mich damit wohl fühle und ich soweit bin, dann gehe ich auch mal ans Geländer und gucke runter. Also ich versuche dem auch so ein bisschen entgegen zu trainieren, indem ich mich manchmal diesen Situationen aussetzte. Weihnachten, auf dem Weihnachtsmarkt setze ich mich dann eben auch in das Riesenrad. Die erste Runde ist furchtbar, aber die Runden, die danach kommen sind schön und man kann so den Blick schweifen lassen. Das lohnt sich dann auch.
Ina Götze: … und genießen. Also erst einmal die Lage checken und rantasten.
Emily Bauske: Genau.
Ina Götze: In der Anmoderation hatte ich ja schon erzählt, es gibt Menschen, die Angst vor Knöpfen haben. Das klingt ja jetzt für Außenstehende völlig paradox und irrational, weil der Knopf tut einem ja in der Regel eigentlich nicht weh. Wie können dann solche Ängste entstehen?
Dr. Jeanne Rademacher: Das stimmt, auf den ersten Blick wirkt das erst einmal nicht plausibel, und ich glaube, man muss hier so ein ganz klein bisschen ausholen. Diese Angst vor Knöpfen – da gibt es tatsächlich auch einen Namen dafür: die sogenannte Koumpounophobie. Das ist eine von sehr vielen sogenannten Phobien und von der Wortbedeutung heißt das ja Furcht. Es gibt in der Psychologie durchaus viele Autoren, die zwischen Angst und Furcht unterscheiden. Ich habe dazu mal einen sehr schönen Satz gelesen, der für mich sehr einleuchtend war. Man könnte in etwa so formulieren: Man fürchtet sich vor etwas, aber man ängstigt sich. Sprich: Furcht bedeutet, es ist etwas gegeben, wovor man sich ängstigen oder fürchten kann und Angst ist eher etwas Ungerichtetes. Man hört manchmal auch den Begriff ‚freiflottierend‘. Und die Furcht, so beschreiben es jetzt die Psychoanalytiker, die wie ich finde, sehr gewinnbringende theoretische Überlegungen zur Entstehung und auch zum Verständnis von klinisch-relevanten Angstphänomenen liefern. Die sagen, dass solche Phobien oder solche Furcht durchaus als eine Abwehr gegen eine tiefer liegende Angst gedeutet werden kann. Das heißt, die Angst wird sozusagen verdinglicht – man könnte sagen, es ist eine Konkretisierung, eine Konkretisierungsform von Angst, also eine kreative Lösung. Und bei der Anzahl an Phobien – über 600 Stück – sieht man, wie kreativ Menschen eben darin sind.
Ina Götze: Sie projizieren das sozusagen auf einen Gegenstand …
Dr. Jeanne Rademacher: Genau!
Ina Götze: … weil die Angst eigentlich so umkonkret ist, dass sie gar nicht wissen, wovor sie Angst haben?
Dr. Jeanne Rademacher: Na ja, ihnen ist es nicht bewusst. Also es gibt sicherlich – bei den Analytikern ist es ja immer so, dass sie sagen, natürlich gibt es dafür einen Grund und da gibt es jetzt unterschiedliche Erklärungsweisen. Also Fakt ist erst einmal, dass die Wahl, was ich jetzt wähle, sehr stark biografisch geprägt ist. Deshalb ist es immer auch wichtig, eine biografische Anamnese zu machen, um zu gucken. Und diese Urangst, mit der wir alle, sage ich mal, ausgestattet sind, die ja auch lebensnotwendig ist, sonst würden wir uns ja nicht vorsichtig durchs Leben bewegen, aus der heraus, aus diesem Urgefühl heraus entsteht im Grunde jegliche Art von Ängsten, also ein Leben ohne Angst gibt es nicht. Menschen unterscheiden sich, so könnte man es vielleicht sagen, in ihrer Art, ihre Angst auszudrücken, aber nicht ob sie Angst haben oder nicht. Also es geht darum, wer kann Gefühle zulassen und aushalten und wer verdrängt sie oder wer wehrt sie ab. Und ob ich aus dieser Urangst eher Urvertrauen oder Urmisstrauen der Welt gegenüber entsteht, dass hängt wiederum sehr, sehr stark mit unseren allerersten zwischenmenschlichen Erfahrungen zusammen. Und wenn wir ’ne primäre Bezugsperson haben, die durch eine verbindliche Fürsorge und Geborgenheit garantiert, dass wir ein Urvertrauen entwickeln, dann können wir auch dieses Gefühl von Ängsten, oder wie auch immer wir es jetzt nennen wollen, sehr gut balancieren. Wenn das aber nicht gelingt, dann, na ja, dann kann es, wie soll ich sagen, nicht so schön werden. Es gibt aber auch Erklärungsansätze, wie zum Beispiel die Verhaltenstherapie, oder – es kommt ja aus den klassischen Lerntheorien, wie Behaviorismus, – Richtung in der Psychologie –, die zum Beispiel sagen, so was ist erlernt. Also man könnte sich jetzt vorstellen, als kleines Kind wurde ich gebadet und die Oma hat mir danach, als ich noch relativ nass am Körper war ein kratziges Wollmäntelchen angezogen, was sie bis oben hin zugeknöpft hat, und das war so eng, dass vielleicht durch ein bisschen … (lautes Einatmen) und das war ein unangenehmes Gefühl und dann sagt man, koppelt man unangenehme Erfahrungen mit zum Beispiel dem Knopf oder der Wolle oder … So erklären sich ja manchmal auch Hundephobien oder so, dass man einfach ein schlechtes Erlebnis hatte und deshalb das so ein bisschen gekoppelt ist. Also, Sie sehen, es gibt sehr unterschiedliche Herangehensweisen zu erklären.
Ina Götze: Das herauszufinden ist sicherlich auch schwierig. Jetzt haben Sie selber ja schon gesagt, Frau Bauske, bei Ihnen, die Angst oder die Furcht vor Höhe, lässt sich ja gut behandeln, auch vor Spinnen, indem man immer wieder ein Stückchen weitergeht, Kontakt aufnimmt, der Angst begegnet und feststellt: Es tut mir nicht weh. Es passiert nichts. Die Angst ist irgendwie unbegründet. Wie wäre das jetzt aber bei Ihnen der Fall bei Erkrankungen, also der Angst vor Erkrankungen? Das ist ja schon ein bisschen schwieriger. Man kann ja jetzt Frau Bauske nicht anstecken und sagen, guck mal, passiert doch nichts.
Emily Bauske: Nix passiert.
Ina Götze: (lacht) Wie geht man mit solchen Ängsten um?
Dr. Jeanne Rademacher: Also im Grunde kann man bei jedweder Art von ängstlichen Reaktions- oder Verhaltensmustern auch auf eine sehr unterschiedliche Art und Weise mit den Leuten arbeiten. Also es kommt immer darauf an, wie man es sich erklärt und daraus folgt, wie man mit den Leuten arbeitet. Das, was Sie jetzt gerade erwähnt haben, kommt wie gesagt aus der Verhaltenstherapie, nennt sich systematische Desensibilisierung. Aber es gibt, wie schon erwähnt, auch diese tiefenpsychologische oder psychoanalytische Richtung, die eher daran interessiert ist, einem Verständnis eines möglicherweise Urkonflikts nachzugehen oder das zu erlangen, um Ängste eben aufzulösen oder in die Persönlichkeit gut integrieren zu können oder auch die systematische Therapie, die immer sehr die interpersonelle Komponente von ängstlichen Phänomenen betrachtet und eben ängstliches Verhalten als Ausdrucksform von Bedürfnissen, als eine Bewältigungsstrategie ansieht und eben aus diesen unterschiedlichen Betrachtungen folgen dann ganz unterschiedliche Arbeitsweisen. Solche jetzt genannte Angst vor Erkrankung ist ja eine absolut legitime …
Ina Götze: … nachvollziehbar.
Dr. Jeanne Rademacher: Ja, absolut nachvollziehbar. Man hat Angst zu sterben. Daraus rührt ja auch … also da wir Menschen todesbewusst sind, sagte ich ja auch schon, es gibt kein Leben ohne Angst. Ja, es ist nur die Frage, wie man damit umgeht. Man würde also hier tatsächlich, ich sehe das aber auch bei Phobien so: Ich würde eher nicht mit Konfrontation arbeiten, sondern ich würde hier eben sehr viel versuchen, dass man diese Sorge um sich selber, ja, dass man die einfach ernst nimmt und versucht, gut ins eigene Leben zu integrieren und es gibt ja auch, haben wir ja im Vorfeld schon ein bisschen gehört, sehr schöne Ideen, wie Menschen dann damit umgehen. Im Übrigen sieht man hier, wie ich finde, auch sehr schön diese interpersonelle Komponente der Angst, die damit zu tun hat, eigentlich auch mit der Urangst, verlassen zu werden, dass man miteinander kooperiert, um Angst zu bewältigen. Also, das ist eine sehr, sehr kluge Strategie.
Ina Götze: Alles richtig gemacht, Frau Bauske. (lacht)
Dr. Jeanne Rademacher: Also diese Beziehungs- … das ist ja auch eine gute Auswirkung solcher Ängste, dass man sich immer wieder in so einer Art Beziehungsvergewisserung, ja, da mouvt man sich dann immer wieder so rein. Und das ist dann wiederum … Darum sollte man jede Art von Angst als funktional sehen. Also, es ist nichts Dysfunktionales, was weg muss, sondern man sollte darauf hören und man sollte diesem Bedürfnis – man kommt dem nicht unbedingt immer selber auf die Schliche, welches es jetzt ist, da braucht es dann vielleicht manchmal eine professionelle Kooperation. Aber es gibt ja viele, die sagen: Ja das ist so, aber ich komm’ damit eigentlich ganz gut klar und dann schildern sie so ihre Lösungsversuche, und ich sage Glückwunsch, super.
Ina Götze: Ja, Job erledigt. (lacht)
Dr. Jeanne Rademacher: Job erledigt. (lacht)
Ina Götze: Sie hatten ja schon angedeutet, dass es durchaus Menschen gibt, die vielleicht von Natur aus ängstlicher sind, dass aber auch viel Erlebnisse und Erfahrungen eine Rolle spielen – ich merke es zum Beispiel: Meine Mum ist auch relativ ein sehr ängstlicher Mensch. Und vieles davon habe ich auch übernommen, bin zum Beispiel bis vor vier Jahren in etwa nie geflogen, weil ich einfach von ihr diese Angst übernommen habe. Ich saß nie in einem Flugzeug, beziehungsweise als Kind saß ich mal in einem ganz kleine Flugzeug. Das war alles schön, aber ich bin nie in einen großen Flieger gestiegen, weil sie diese Angst hatte und ich das halt mit übernommen habe. Was spielt mehr eine Rolle, meine Genetik oder meine Erziehung und mein soziales Umfeld?
Dr. Jeanne Rademacher: Von Natur aus ängstlicher würde ja bedeuten, genetisch angelegt. Und da sind wir bei einer wirklich sehr, sehr alten Debatte unseres Fachs: Genetik vs. Umwelt. Und ich zitiere dazu immer sehr gern den Satz, ich glaube aus einem Lehrbuch für klinische Entwicklungspsychologie: Entwicklung ist zu 100 Prozent Genetik und zu 100 Prozent Umwelt.
Ina Götze: (lacht) Beantwortet genau meine Frage.
Dr. Jeanne Rademacher: Eine prozentuale Gewichtung wird der Untrennbarkeit von beidem einfach nicht gerecht. Und das ganz spannende Feld der sogenannten Epigenetik bringt uns ja ganz viele neue Erkenntnisse zur transgenerationalen Weitergabe von, ich sag mal so salopp, Erfahrungen, also der Vererbung von Erfahrung. Da würden Fachkollegen jetzt sagen: Na sach’ mal. Aber ich habe ja jetzt angekündigt, dass das mal so salopp ausgedrückt ist. Menschen kommen sehr wohl mit sehr unterschiedlichen Bedürfnislagen auf die Welt. Ich würde aber sagen, dass Umwelt oder die Konstellation maßgeblich dafür ist, wie sie in der Lage sind, auf diese besonderen Bedürfnisse einzugehen. Also, wenn wir jetzt wieder bei den ersten zwischenmenschlichen Erfahrungen wären, wenn zum Beispiel meine primären Bezugspersonen oder Eltern es schaffen, meine körperlichen und meine psychischen Bedürfnisse zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren, dann habe ich eine sehr, sehr große Chance, Angst sehr gut aushalten zu können, weil ich das sogenannte Urvertrauen mitbekommen habe und dieses Urvertrauen ist im Grunde auch sehr wichtig. Diese Gewissheit, dass jemand da ist, wenn es mir nicht gut geht, das ist die Grundvoraussetzung dafür überhaupt, die Welt zu explorieren, also in die Welt rauszugehen, was ja für die kognitive Entwicklung wiederum sehr wichtig ist. Da sieht man auch die enge Verquickung zwischen emotionaler Befindlichkeit und eben auch geistiger und eben kognitiver Entwicklung. Und so könnte man jetzt zum Beispiel eben auch erklären, was Sie jetzt sagten: Meine Mama hatte, im Grund völlig berechtigt – hochgefährlich, sich in so ein Flugzeug zu setzen als Mensch …
Ina Götze: lacht
Dr. Jeanne Rademacher: … und sich vom Boden der Tatsachen in die Lüfte zu erheben … sind wir Vögel? (lacht)
Ina Götze: lacht
Dr. Jeanne Rademacher: … also absolut legitim und verständlich …
Ina Götze: Wenn wir fliegen könnten, dann würden wir es ja tun.
Dr. Jeanne Rademacher: Dann würden wir es ja tun, genau. Also von daher ist das ja eine absolut … Ja herzlichen Glückwunsch, kann ich immer wieder nur sagen. Das ist gut, dass Sie diese Angst haben, weil, es ist nicht normal, sich in ein Flugzeug zu setzen für uns Menschen. Und wenn jetzt Ihre Mutter sich da durch eine besondere Vorsicht ausgezeichnet hat, na klar kann es dann sein, dass Sie das beobachtet haben und feststellen – Sie haben eine enge Bindung zu Ihrer Mutter, Sie vertrauen Ihrer Mutter –, wenn Mama komisch guckt, also man nennt das so mentallisieren, die Gesichtsausdrücke der anderen lesen können, wenn Sie das gut lesen können, dann haben Sie natürlich auch das Vermögen zu sagen, ah, ok, die Rutsche besser nicht rutschen, Mama guckt komisch, runzelt irgendwie die Augenbrauen oder sie redet übers Fliegen und Flugzeug. Das kann nichts Gutes sein. Also Sie sparen sich ja damit, das selbst erleben zu müssen. Das ist im Grunde kognitiv ganz klug, dass dann zu machen, aber für bestimmte Dinge kann es natürlich dann wieder nicht so klug sein, wenn es jetzt etwas ist – also fliegen ist jetzt für mich nicht lebensnotwendig – aber, wenn es jetzt darum ginge, Angst vor der Natur zu haben und nicht mehr in die Natur zu gehen, dann ist es natürlich so, dass ich sagen würde: Lassen Sie uns noch mal darüber reden, …
Ina Götze: (lacht)
Dr. Jeanne Rademacher: … was vielleicht doch die Vorteile sein könnten, raus zu gehen, ins Grüne. Selbst wenn da Insekten sein könnten, die einen stechen könnten oder weiß ich wer.
Ina Götze: Sie haben eben gerade ein Zitat gebracht. Jetzt möchte ich auch ein Zitat bringen, nämlich von dem Journalisten Peter Hohl. Er hat mal gesagt, dass die Menschen mehr Angst vor dem Unbekannten haben als vor dem Gefährlichen, und er hat das damit vergleichen, dass es genug Menschen gibt, die Angst vor unbekannten Kulturen, also fremden Kulturen haben, aber wenn sie Alkohol getrunken haben, sich durchaus auch hinter das Steuer setzen, obwohl das ja eigentlich gefährlicher ist. Wie viel ist da dran? Wieviel Wahrheitsgehalt steckt da drin?
Dr. Jeanne Rademacher: Ja, viel. Ich habe eben, als Sie das Zitat brachten, mich erinnert an den Satz: ‚Zwischen dem Kummer und dem Nichts wähle ich den Kummer.’ Also das ist auch so ein bisschen ähnlich. Da ist viel dran und das ist ein bisschen herausfordernd, sich hier kurz zu fassen: Fremdenangst hat natürlich sehr viel mit dem eigenen Selbstverständnis und auch Identitätsempfinden zu tun – führte aber jetzt zu weit. Man könnte hier vielleicht so argumentieren: Jede Veränderung von Verhaltensroutinen ist immer von Angst begleitet, selbst wenn wir das nicht wollen. Also wir haben da so eine Region im Gehirn, der sogenannte Mandelkern, der feuert bei Veränderung mit Angst, ohne dass wir da was machen können. Also, es heißt auch, das anzunehmen, dass das so ist und das dann gut zu begleiten. Und das muss man eben bedenken, wenn es um Unbekanntes geht. Unbekanntes ist schlimmer als Gewohntes. Das erklärt im Übrigen auch, weshalb Menschen sich so gut an Schlechtes oder Gefährliches gewöhnen. Das, was der Mensch kennt, hält er aus und es gibt da vieles, was uns enorme Angst machen sollte, aber tut es nicht, weil wir uns einfach schlicht daran gewöhnt haben. Autos …
Ina Götze: Autos sind ja eigentlich gefährlicher als Flugzeuge … (lacht)
Dr. Jeanne Rademacher: (lacht) Ich möchte jetzt hier nicht als Flugzeug- und Autogegnerin …(lacht)
Ina Götze: lacht
Dr. Jeanne Rademacher: … in Erinnerung bleiben. Aber auch Auto, wenn ich jetzt an so ein Tempo – ich erinnere mich an eine Klientin, die sagte, sie kriegt Angst oder leichte Panikattacken im Auto, wenn ihr Mann mit 220 über die Autobahn düst …
Ina Götze: Say what! Natürlich!
Dr. Jeanne Rademacher: … und ich hab sie nur angeguckt und war erst einmal sprachlos und ich dachte: Ja, na ein Glück hat jemand in diesem Auto Angst. (lacht)
Emily Bauske: (lacht) Er nicht, aber sie wenigstens schon.
Dr. Jeanne Rademacher: Ja genau, dass sie ihn stoppen, weil das ist ja auch hochgradig gefährlich, aber wenn Sie jetzt sagen, um auf Ihr Beispiel zurückzukommen: Autofahren mit Alkohol, darf man jetzt auch nicht unterschätzen, dass der Substanzkonsum eine maßgebliche Rolle spielt, weil Alkohol Angst gut löscht. Deshalb ist massiver Substanzkonsum oftmals auch als eine Angstbewältigungsstrategie zu verstehen.
Ina Götze: Das eine bedingt also das andere. Aber würde das Zitat vielleicht auch so ein stückweit erklären, warum es Menschen gibt, die Angst … also wir sind ja jetzt bei der Corona-Impfung, das war zum Einstieg auch ganz passend, Angst vor diesem neuartigen, unbekannten Impfstoffen haben, obwohl es Studien gibt, die ja eigentlich sagen, die Impfung selber ist nicht das, was gefährlich ist, das ist die Corona-Erkrankung.
Emily Bauske: Genau, also das schlägt so ein bisschen in die gleiche Kerbe, das Menschen eben dazu neigen eher den Status Quo zu nehmen, also lieber eine bekannte Gefahr, oder ein bekanntes Ärgernis, einen bekannten Kummer sich auszusetzen, als etwas Neuartiges zu probieren oder zu riskieren, tatsächlich. Bei der Corona-Impfung und der Corona-Erkrankung könnte man zum Beispiel sagen, die Corona-Erkrankung, damit haben wir jetzt schon ein bisschen mehr Erfahrung, also auch einfach subjektiv. Die Bevölkerung ist schon ein Jahr lang irgendwie damit konfrontiert und am Anfang war das, zumindest in meinen Augen … oder für mich, war es am Anfang auch sehr beängstigend diese Corona-Erkrankung, aber man gewöhnt sich so dran. Also die persönliche Angst vor der Corona-Erkrankung find ich geht dann zurück und dann kommt eben das nächste Neuere, nämlich diese Corona-Impfung. Und da liegen jetzt noch nicht so viele Erfahrungen vor. Also auch meine Oma zum Beispiel, über 80, hätte sich sofort impfen lassen können, aber war so: ‚Ach weißte, Emily. Ich warte lieber noch bis so ein paar andere … und bis ich weiß, dass das bei denen funktioniert.‘ Und klar, es gibt ja diese klinischen Studien vorher. Also das ist alles … das wird auf Herz und Nieren getestet bevor das überhaupt zugelassen wird als Impfstoff, aber trotzdem dieses Gefühl: ‚Ich weiß nicht, was da auf mich zukommt und wie das tatsächlich einzuschätzen ist und gucke erstmal, wie es so läuft, auch bei den anderen und dann lasse ich das vielleicht bei mir machen.‘ Das ist halt einfach auch so eine Entscheidung, die auch darin begründet ist dann vielleicht, dass Menschen auch schwer mit Wahrscheinlichkeiten umgehen können. Also für uns so im wissenschaftlichen Bereich ist das, also nicht alltäglich, aber in vielen Fachbereichen wird viel mit wissenschaftlichen Statistiken gearbeitet und dieser Wahrscheinlichkeitsberechnung. Und wir sind da einfach geübt drin, aber für viele Leute, die eben nicht täglich mit diesen Zahlen zu tun haben, ist es total schwer einzuschätzen: ‚Ok, was bedeutet jetzt 97 Prozent Effektivität oder 5 Prozent Wahrscheinlichkeit, dass man einen schweren Verlauf hat und wie lässt sich das überhaupt gegeneinander aufwiegen?‘ Dann greift man eben auch auf Heuristiken zurück, zum Beispiel das man eben lieber den Status Quo nimmt, also lieber die Gesundheit, so wie man sie jetzt hat mit dem Risiko, das man vielleicht doch erkrankt, beibehält, anstatt dass man sich willentlich dieser Impfung aussetzt, die vielleicht, also nur zu einem geringeren gewissen Risiko gefährlich ist, aber natürlich trotzdem irgendwie gefährlich sein könnte, je nachdem, aussetzt, dann bleibt man eben lieber beim Status Quo, als das man da irgendwie was Neues ausprobiert.
Ina Götze: Hat sicherlich auch was damit zu tun, mit gewissen Schutzmaßnahmen kann ich ja die Wahrscheinlichkeit, womit wir bei Wahrscheinlichkeit sind, eingrenzen, an Corona zu erkranken. Das habe ich so ein bisschen mehr in der Hand. Wie ich aber auf die Impfung reagiere, das entscheidet ja dann am Ende mein Körper. Viel hat es aber sicherlich auch damit zu tun, dass es zahlreiche Falschinformationen gibt und viele Menschen diese Falschinformationen tatsächlich für Fakten einstufen. Warum … also wenn sie im Prinzip sehr, sehr faktenbasiert eigentlich entscheiden und dem gegenüber ja auch wissenschaftlich richtige Fakten stehen, warum sind sie für diese dann nicht mehr empfänglich?
Emily Bauske: Das ist eine gute Frage, da gibt es auch psychologische Studien zu und auch psychologische Effekte, also der ‚confirmation bias‘ zum Beispiel oder ‚need for closure‘, das sind so zwei Aspekte, die dann eine Rolle spielen. Das eine ist dass man sich eine Meinung gerne bildet und die dann auch beibehält, also da unterscheiden sich die Personen auch untereinander. Also es gibt durchaus Menschen, die sagen, ok, ich gucke mir das ein bisschen länger an und wenn dann noch eine neue Information kommt, würd’ ich auch meine Meinung nochmal umschmeißen. Aber es gibt eben auch welche, die lesen in den Nachrichten irgendwie zuerst: ‚Schwerer Verlauf bei einer Corona-Impfung‘, oder sie hören von der Freundin von einem Nachbarn die Schwester …
Ina Götze: … der Schwipp-Schwager …
Emily Bauske: … genau, der Schwipp-Schwager, der Arbeitskollege, der hat diese Impfung bekommen und hatte ganz furchtbare Nebenwirkungen und war dann im Krankenhaus, ganz schrecklich, und sind davon so beeindruckt, dass sie für diese wissenschaftlichen Fakten dann nicht mehr empfänglich sind. Also sie bilden sich diese Meinung und bleiben dann auch dabei. Und dann kommt der ‚confirmation bias‘ auch so ein bisschen ins Spiel. Das bedeutet dann, dass Menschen, die sich einmal eine Meinung gefasst haben auch dazu neigen, dann konträre Informationen einfach zu ignorieren. Also wenn man eben schon die Meinung gefasst hat, ok, die Impfung ist schädlich und gefährlich und man muss vorsichtig sein, dann werden auch neue Studien, die sagen: ‚Nee, das ist nicht so‘, oder eben tausend andere Erfahrungsberichte, die sagen: ‚Ich hab‘ die Impfe gut vertragen‘, werden dann entweder abgetan oder nicht richtig aufgenommen und sickern nicht so richtig ins Bewusstsein rein. Man bleibt eben bei dieser Meinung und wird eben diese Einstellung der konträren Informationen nicht gut aufnehmen, aber einstellungskonforme Informationen schon. Also, wenn man dann nochmal von einem anderen Arbeitskollegen hört, der das auch hat, der auch schwere Nebenwirkungen hat, dann wird das wieder bestätigt und so baut sich das dann immer mehr auf. Wie so eine Mauer gegenüber von neuen Informationen. Also es ist ganz schwierig dann da ran zu kommen.
Ina Götze: Wahrscheinlich auch einfach, wenn das so imposant war, die Information einen so geprägt hat, dann …, dass man die dann irgendwie als groß wahrnimmt. Also grundsätzlich kann ich ja die Befürchtung, die Ängste verstehen. Also das hat glaub’ ich jeder: ‚Wie werde ich das wohl vertragen? Werde ich irgendwie drei Tage flach liegen und nichts mehr machen können?‘ Ich habe mich für eine Impfung entschieden, weil ich rational einfach abgewogen habe, möchte ich drei Tage lang gegebenenfalls auf der Coach liegen, nur Netflix gucken können und mich nicht bewegen können, oder möchte ich im schlimmsten Fall wirklich im Krankenhaus landen, beatmet werden und danach Folgeschäden haben, die nicht abzusehen sind? Das war einfach eine Risiko-Nutzen-Abwägung für mich. Warum … oder beziehungsweise wie – das warum glaube ich, haben wir gut geklärt –; aber wie kann man jetzt Menschen dazu bewegen, diese rationale Abwägung noch treffen zu können, wenn sie eigentlich in so einem Tunnel sind?
Emily Bauske: Ja, das ist schwierig, weil eben diese Anekdoten auch einfach viel näher an den Menschen dran sind als die Statistiken. Also vielleicht, wenn man gute Erfahrungsberichte nimmt und das ein bisschen mehr auch in die Medien bringt, wobei auch da wieder Vertrauen eine Rolle spielt. Also viele Menschen haben auch heutzutage, weiß ich nicht, aber wahrscheinlich auch schon immer, ein gewisses Misstrauen gegenüber bestimmten Institutionen. Das kann die Wissenschaft sein. Das kann aber auch eben die Politik sein oder die Pharmaindustrie, so als abstrakter Gegenspieler. Und in die Kerbe schlagen ja eben auch diese Verschwörungsmythen bisschen rein. Ja, das da eben eine gewisse Glaubwürdigkeit von Institutionen eben auch nötig ist, deswegen finde ich auch ein bisschen schwierig, wenn das RKI zum Beispiel einmal Dinge empfiehlt, dann eben die nächste Woche doch anders wieder empfiehlt, oder die EU spricht eine Empfehlung aus und das RKI für Deutschland sagt: ‚Nee, das machen wir aber nicht.‘ Das ist halt so ein bisschen …
Ina Götze: Was soll man denn da noch glauben? Völlige Verwirrung …
Emily Bauske: Genau, also es beruht teilweise auf den gleichen Studien auch, aber dann werden andere Schlussfolgerungen gezogen und klar, die einen interpretieren das ein bisschen freimütiger und sagen: ‚Na ja, wir würden das empfehlen.‘ Und das RKI ist vielleicht ein bisschen vorsichtiger und sagt: ‚Nee, machen sie mal lieber nicht.‘ Genau, das ist auch so ein bisschen eine Frage der Wissenschaftskommunikation. Deswegen ist das ja auch so schwierig. Also diese Studien, die da gemacht werden und diese Vorerhebungen zu den Impfstoffen sind natürlich sehr komplex, müssen sie ja auch sein, um eben alle diese Einflussfaktoren kontrollieren zu können und alle möglichen ‚Was-Wenn-Fälle‘ sicher abschließen zu können. Aber das zu kommunizieren an die Gesellschaft ist natürlich sehr schwer. Und wenn man das vereinfacht, läuft man natürlich auch immer Gefahr, was in die falsche Richtung zu vereinfachen oder es so zu vereinfachen, dass eine Angriffsfläche entsteht und dann jemand sagt: ‚Ja, aber was ist denn mit dem und dem? Und kann man das auf Kinder anwenden?‘ Oder wenn unter einer Millionen Leuten jetzt doch 6 sind mit schweren Nebenwirkungen und das war nicht in den Studien zu sehen, kann man den Studien noch glauben? Obwohl natürlich in den Studien auch drinsteht, diese Ergebnisse sollte man nur beachten, wenn … oder unter den Bedingungen, dass … oder Einschränkungen, die dann vorliegen. Aber das kann man natürlich auch nicht so gut kommunizieren und das fällt hinten runter, muss es auch. Damit es vereinfacht werden kann. Nur, dass dann so ein bisschen …
Ina Götze: Die Gemengelage …
Emily Bauske: Genau! Also, so eine Balance, die man finden muss. Genau, aber wie kann man Menschen vielleicht doch überzeugen, sich impfen zu lassen? Man kann einmal diese positive Erfahrung so ein bisschen mehr hervorheben, und dass es jetzt auch viele Leute … also eigentlich alle kennen jemanden, der mindestens einmal geimpft ist und für die meisten ist es jetzt auch, wie für meine Oma, die auch sagt: ‚Ah ja, meine Nachbarin hat es gut vertragen …‘
Ina Götze: Wenn die Erna das gut vertragen hat, …
Emily Bauske: Genau, dann geb ich mir das jetzt auch und es hat übrigens auch gut bei ihr funktioniert, also alles in Butter. Genau, also, dass diese positive Erfahrung sich so ein bisschen durchsetzt und man kann natürlich auch incentivieren; Anreize geben oder schaffen. Und das haben wir jetzt auch so ein bisschen fast unbewusst, weil eben das gesellschaftliche Leben, daran wollen wir ja alle teilnehmen. Und das ist nur möglich, wenn alle sich an diese Vorgaben halten, also diese drei G-Regeln: Geimpft, Getestet oder Genesen. Und für die Leute, die sich eben nicht impfen lassen wollen, für die gilt dann eben, sie müssen sich testen lassen. Und da gibt es durchaus Menschen, die sagen: ‚Oh, ich muss jetzt hier jedes Mal, wenn ich ins Kino gehen will – immerhin hat das Kino wieder auf – aber immer, wenn ich ins Kino gehen will, muss ich mich davor testen lassen und guck mal da, die ist geimpft und kann da einfach reingehen, zeigt ihren Impfpass und gut ist. Weißte was? Ich lass mich jetzt einfach auch impfen.‘
Ina Götze: … die hat es ja auch überstanden.
Emily Bauske: Genau, die hat es auch überstanden und die muss sich jetzt nicht testen lassen. Ich glaube ich lasse mich jetzt doch impfen. Sowas … also in den Staaten machen sie das ja jetzt auch so, dass sie unter allen, die geimpft worden sind, also auch schon vorher geimpft sind, aber auch jetzt, die sich neu impfen lassen, eine Lotterie veranstalten. Also ich glaube es gibt Autos zu gewinnen …
Ina Götze: Autos ziehen ja immer, ne?
Emily Bauske: Ja, es gibt glaube ich Autos zu gewinnen. Das aber die Leute, die sagen: ‚Ach, aber nur wegen der Impfung oder meiner eigenen Gesundheit und ich gehe nicht ins Kino, ist mir egal. Aber ein Auto würde ich schon gern gewinnen. Warum eigentlich nicht?‘
Ina Götze: Ein E-Auto. Bitte liebe Politiker! Ich überlege gerade mir ein E-Auto zu kaufen, das wäre ganz nett.
Emily Bauske: Das wäre gut, ja. Oder ich glaube in England gibt es so Geschichten, dass sich Menschen in einer Brauerei hatten impfen lassen können.
Ina Götze: Stimmt, die haben dann Freibier oder sowas bekommen.
Emily Bauske: Man muss nicht ins Impfzentrum, man muss nicht zum Arzt. Man kann Bier trinken und bekommt dann diese Impfung. Und das funktioniert gut, also die haben gute Impfquoten dann.
Ina Götze: Ich überlege gerade, was es bei uns in Deutschland wäre, was ziehen würde. Autos sicherlich auch, glaube ich schon. Bier bestimmt auch. Oder Urlaub …
Dr. Jeanne Rademacher: Ein Dauerticket für den FCM in Magdeburg.
Ina Götze: Oder wie gesagt eine schöne Urlaubsreise, das würde auch ziehen, als Belohnung.
Dr. Jeanne Rademacher: Aber ich denke auch, mir sind zwei Dinge jetzt eingefallen. Weil es so um überzeugen geht. Letztlich ist es natürlich das was man will, aber ich glaube Vorteile des Impfens begeistern, also wenn man so sagt: ‚Mensch, ich kann jetzt dies machen, ich kann jetzt das machen und muss nicht diesen doofen Test haben.‘ Also das man so Leute kriegen kann und was mir vorhin noch einfiel, ist: Da sind wir ja wieder so bei Vertrauen, auch in den eigenen Körper. Ich denke, wenn man da so rangeht, dass man sagt: ‚Mein Körper, der wird das natürlich super managen. Ich gehe davon aus, dass ich nicht irgendwie besonders große Nebenwirkungen habe, weil …‘ Diese Gedanken sind ganz wichtig. Mich erinnert das so an Patienten, aus der ambulanten Reha, denen ich das auch immer wieder gesagt habe. Dass gute, ich sag es jetzt mal etwas salopp, dass gute Gedanken auch Prozesse im Körper befördern, die Entzündungsprozesse eher hemmen. Also es werden alle Stoffe ausgeschüttet, die es braucht, damit es einem gut geht und wenn man immer so denkt: ‚Ah, das wird ganz schlimm wieder und dann hab ich wieder Schmerzen.‘ Das ist ja manchmal auch ganz automatisiert, dass diese Gedankenschleifen einsetzen. Das Gehirn weiß dann sofort was es schalten muss und Entzündungen werden angefeuert. Also die Einstellung, sag ich mal, auch sich selbst gegenüber vor so einer Impfung ist, denke ich, sehr wichtig und kann, meiner Ansicht nach – ist meine persönliche Einschätzung –, aber hat maßgeblich auch Einfluss, wie ich sowas vertrage. Das ist nicht nur der Körper, der abgekoppelt ist von mir, sondern es ist ja ein System und wie ich da rangehe, das hat Auswirkungen. Und jemand der da die schlimmsten Befürchtungen hat, der hat vielleicht auch wirklich drei Tage, die er nichts machen kann, weil so ein bisschen im Sinne der selbsterfüllenden Prophezeiung. Aber das wollte ich nur nochmal ergänzen.
Ina Götze: Einfach mal positiv denken. Ich finde, das ist doch … Wir waren gerade bei Studien und sie haben ja, Frau Bauske, eine Studie selber durchgeführt gehabt und da ging es eher um die Befürchtung … oder wie beängstigend Menschen die Corona-Pandemie im Allgemeinen finden und wie sie auch, sozusagen die politischen Maßnahmen akzeptieren. Zwei Fragen dazu, was man eigentlich nicht machen soll, man soll normalerweise journalistisch die Fragen einzeln stellen, aber die bauen gut aufeinander auf. Was kam dabei heraus? Ganz spannend zu wissen. Und: Könnten diese Ergebnisse vielleicht auch genutzt werden, um Menschen davon zu überzeugen, oder zu zeigen: ‚Alles gut, lass dich impfen!‘?
Emily Bauske: Ja, die Studie habe ich im Februar, März, April letzten Jahres gemacht, also gleich zu Anfang der Corona-Pandemie, deswegen sind die Ergebnisse aus dieser Welle, wir haben jetzt noch eine zweite gemacht, gerade eben, sozusagen.
Ina Götze: Also ganz frisch …
Emily Bauske: Genau. Letzten Monat für zwei Wochen die Erhebung. Deswegen ist das aber noch vom Anfang der Pandemie und tatsächlich ist es dann so gewesen, dass die Leute sich auch weniger bedroht gefühlt haben. Also ich glaube so im Schnitt haben die Leute gesagt, dass sie auf einer Skala von 1 bis 100, 40 Prozent die Corona-Pandemie als bedrohlich empfinden, also weniger als die Hälfte tatsächlich, der möglichen Ausprägung. Sie fanden es eher einschränkend, also wahrscheinlich auch diese Maßnahmen, die dann eingeführt worden sind im Laufe der Zeit, dass das eben als belastend empfunden wurde, weil diese Einschränkungen da waren. Aber andererseits hat die Stichprobe auch gesagt, dass sie diese Maßnahmen, also sowohl diese Einschränkungen im öffentlichen und persönlichen Leben, aber auch die Handlungsempfehlungen, die von der Regierung, oder von der WHO oder vom RKI kamen als durchaus sinnvoll empfinden und die auch befolgen. Also die Stichprobe war auch relativ jung, das war eben so eine typische studentische Stichprobe auch. Es waren, ich glaube, 1.200 Leute und der Großteil eben Studierende, auch hier von der Uni. Auch klar ein paar Ältere so aus Magdeburg und ein paar überregional, aber relativ jung, weiblich, gut gebildete Stichprobe, deswegen finde ich es nicht verwunderlich, dass die eben auch diese Maßnahmen akzeptiert haben. Es gab nur ein paar Maßnahmen, sowas wie ‚Wir sollten über unsere Handy-Daten überwacht werden‘. Das wurde ja in China am Anfang gemacht, dass die Leute dann, die Corona hatten auch isoliert wurden zuhause, und wenn die raus gegangen sind, dann hat das gleich der Computer gesagt …
Ina Götze: Alarm!
Emily Bauske: Alarm, wieder reingehen, es kommt jemand vorbei. Das war natürlich … also diese Zwangsmaßnahmen, auch medizinisches Personal zwangszurekrutieren, das haben wir auch gefragt, das wurde auch abgelehnt, aber viele Maßnahmen, wie Kitas und Schulen zu schließen oder Menschen, die Symptome zeigen in die Quarantäne zu stecken, das fanden die Leute völlig nachvollziehbar und auch akzeptabel und auch diese eigenen Schutzempfehlungen, wie sich die Hände waschen, die Leute nicht irgendwie nah begrüßen, nicht mit vielen Leuten unterwegs sein, Schutzmasken tragen, das fanden die alle gut und haben das auch eigentlich auch fast alle umgesetzt. Genau, das war ganz spannend. Und wir haben dann noch auf der psychologischen Ebene untersucht, wie das mit persönlichen Merkmalen zusammenhängt. Und spannend war, dass sowohl die Gesundheitseinstellung, also die Sorge um die eigene Gesundheit, oder die Wertschätzung der eigenen Gesundheit da eine Rolle spielt. Ist ja auch irgendwie, ist ja eben eine Pandemie, eine Bedrohung der eigenen Gesundheit und je höher jemand seine eigene Gesundheit wertschätzt, allgemein auch viel für die Gesundheit tut, also Joggen geht, sich gut ernährt, viel schläft, desto eher war die Person eben auch geneigt, diese Empfehlungen umzusetzen und die Maßnahmen von der Regierung für die Eindämmung zu akzeptieren. Das ist auf der einen Seite interessant, auf der anderen Seite haben wir noch erhoben, wie stark jemand auf soziale Normen, oder sozialen Druck reagiert, also Konfirmitätsneigung; heißt das Konstrukt, was wir da erfasst haben und sagt im Prinzip aus, wie sehr man sich an soziale Normen und soziale Regeln hält und die sozialen Regeln wären in dem Fall eben: ‚Hey, bitte verhalte dich für die Gesellschaft so und triff dich nicht mit den Leuten, mach keine Urlaubsreisen und bitte akzeptiere diese Maßnahmen. Wir wissen auf einer persönlichen Ebene ist das total einschränkend für dich, aber für die Gesellschaft ist das wichtig, deswegen bitte geh damit konform, akzeptiere das und befolge diese Handlungsempfehlungen.’ Und das hat eben auch einen gewissen Einfluss darauf, wie wir es erwartet haben, auch, ob die Menschen eben diese Maßnahmen akzeptieren und die Handlungsempfehlung befolgen. Und die beiden Sachen spielen auch unabhängig voneinander eine Rolle. Also beides sind ja individuelle Ausprägungen. Die hängen nicht großartig zusammen. Also jemand der viel mit sozialen Regeln konform geht, muss nicht unbedingt jemand sein, der auch seine Gesundheit tatsächlich sehr wertschätzt. Aber beides hat einen Einfluss darauf, wie gut die Maßnahmen angenommen werden. Und von daher bieten sich da gewisse Interventionsmöglichkeiten, die wir jetzt noch nicht ausgeschöpft haben, glaube ich. Aber genau … das ist nämlich einmal die Corona-Pandemie und die Maßnahmen, die damit einhergehen, so zu framen, dass man sagt: ‚Es ist wichtig für deine eigene individuelle Gesundheit, aber es ist eben auch wichtig für die Gesellschaft und die Gesellschaft brauch hier deine Kooperation, bitte halte dich an diese Regeln.‘
Und in der Folgestudie untersuchen wir jetzt gerade nochmal wie die Akzeptanz, wie die sich gut darstellen lässt. Und meine Kollegin hat da vor allem ihre Finger auch mit drin, und sie guckt auch, ob in Regionen, in denen bestimmte Regeln schon gesetzlich verankert sind, im Kontrast zu Regionen, wo bestimmte Regeln eben erstmal nur Empfehlungen sind und nicht geahndet werden, ob es leichter ist, diese Regeln zu befolgen, wenn die eben gesetzlich verankert sind. Und es ist leichter, tatsächlich, zu befolgen, wenn sie gesetzlich verankert sind. Auch Personen, die sagen: ‚Ich finde es jetzt irgendwie nicht so sinnvoll, dass ich mich nicht in Gruppen von mehr als zwei Leuten bewegen sollte‘, wenn man das festschreibt und sagt, das wird geahndet und das ist gesellschaftlich absolut nicht erwünscht, dann werden auch diese Personen sich nicht mit mehr als zwei Leuten treffen. Weil das eben noch eine krassere, stärkere soziale Norm ist, indem das eben fast verschriftlicht … oder verboten ist, als wenn man nur sagt: ‚Ja, das ist eine Empfehlung. Das wäre übrigens nett.‘ Genau und das untersucht sie jetzt nochmal wissenschaftlich mit den Daten aus dieser neuen Erhebung.
Ina Götze: Sehr spannend! Aber über die Ansätze lässt sich wahrscheinlich auch so ein bisschen ableiten, Menschen zu einer Impfung zu bewegen, oder nicht. Eben die eigene persönliche Gesundheit und auch der gesellschaftliche Nutzen. Zu sagen: ‚Komm, die Spritze tut dir nicht weh. Sie bringt dich auch nicht um. Aber diese Pandemie ist einfach zu Ende und du kannst dein Teil mit dazu beitragen.‘
Emily Bauske: Genau, es gibt ja auch durchaus Leute, die sich eben wirklich nicht impfen lassen können, weil sie eine Vorerkrankung haben, das wirklich nicht vertragen, oder die Kinder, die in der Schule sitzen und sich auch nicht impfen lassen dürfen, Stand jetzt. Und für die ist es natürlich total wichtig, dass man diesen Infektionsschutz in der Gesellschaft aufbaut, bisschen wie mit den Masern-Impfungen. Ist auch ok, wenn das einzelne Leute nicht haben, weil sie es nicht haben können, aber wenn da ein Gesamtschutz da ist in der Gesellschaft, dann funktioniert das trotzdem.
Ina Götze: Die wunderbare Herdenimmunität …
Emily Bauske: Genau, deswegen ist Corona irgendwie auch eine Gesellschaftsaufgabe.
Ina Götze: Zum Abschluss hab ich noch eine Frage … eine Service-Frage sozusagen. Wir hatten am Anfang schon Trick 17, jetzt auf Trick 18 zu sprechen zu kommen. Wie kann ich mich denn davor schützen, Ängste zu entwickeln?
Dr. Jeanne Rademacher: Im besten Fall haben die eigenen Eltern dafür gesorgt, denn sie schenken ja durch liebevolle und verbindliche Fürsorge eben dieses Urvertrauen, welches eine optimale Voraussetzung darstellt mit dem Phänomen Angst umzugehen und ansonsten gilt, aus meiner Sicht, indem man der eigenen ängstlichen Seite liebevoll begegnet, sie anerkennt, sie annimmt und ihr einen guten Platz bei sich gibt, in sich oder auch gern außerhalb. Also manche mögen … Viele Klienten, mit denen ich gearbeitet habe, wollten lieber erstmal ein Symbol außerhalb ihres Körpers finden, das muss also ein bisschen langsam gehen. Aber wir wissen, dass, je mehr wir wollen, dass etwas nicht ist, desto mehr wird es. Und genauso verhält es sich auch mit unserer Angst. Je mehr ich sie weghaben will, desto mehr Raum nimmt sie sich und es geht also, denke ich, viel um das Wissen darum, wie wichtig es ist, seine eigene Angst zu spüren, denn sie gehört zum Leben dazu. Sie ist ungemein nützlich. Ohne fähig zu sein, Angst zu spüren und auch kommunizieren zu können, gibt es keinen tiefer gehenden menschlichen Kontakt. Beziehungsweise eine Beziehungsfähigkeit zu sich und anderen. Na ja, und soziale Ressourcen. Also verbindliche, enge, soziale Beziehungen, weil eben Angst und Einsamkeit auch ganz dicht gekoppelt sind. Was ich schon mal vorhin sagte: Diese Urangst, verlassen zu werden. Von daher ist eben diese Investition nochmal eben in verbindliche soziale Beziehungen auch körperliche Verbindlichkeit im Übrigen. Also wir sind ja auch körperliche Menschen und das ist eben auch wichtig, dass es Körperlichkeit gibt. Denke, das ist eine gute Vorsorge.
Ina Götze: Also positiv denken, die Angst lieben lernen, ein Stück weit. Aber eine Angst kann ich unseren Zuhörer:innen nehmen, nämlich die nächste Podcast-Folge kommt bestimmt und zwar im September, da wird unser Junior-Professor Siegert zu Gast sein und über Alexa, Siri und Co. sprechen, also auch ganz interessant. Ihnen danke ich auf alle Fälle für das wirklich tolle Gespräch. Ich habe viel dazu gelernt, ich hoffe sie da draußen auch und wir hören uns beim nächsten Mal.
Introstimme: Wissen, wann du willst. Der Podcast zur Forschung an der Uni Magdeburg.