Biologische Fragestellung
Mit Zelldifferenzierung wird der Übergang einer Zelle von einem in aller Regel weniger spezialisierten in einen höher spezialisierten Entwicklungszustand bezeichnet. Zelldifferenzierung wird oft durch externe Stimuli induziert, wie beispielsweise Hormone, Zell-Zell-Kontakte oder Stress. Die Steuerung der Zelldifferenzierung ist Gegenstand intensiver Forschung. Es wird hier der Frage nachgegangen, wie Stimuli verarbeitet werden, welche Gene aktiviert werden und wie letztendlich das Umprogrammieren der Zelle gesteuert wird.
Das Modellsystem
Zeitliche Abfolge unterschiedlich differenzierter Zellen im Lebenszyclus von P. polycephalum: Unter günstigen Bedingungen keimt eine Spore zur Amöbe aus (1). Zwei Amöben mit unterschiedlichen Allelen im Paarungstyplocus können zur Zygote verschmelzen (2). Sie entwickelt sich ohne Zellteilung zum vielkernigen Plasmodium (Kernteilung findet weiterhin statt) (3). Das Plasmodium ist mit einem Netzwerk von intrazellulären Kanälen durchzogen, den sogenannten Adern, in denen das Cytoplasma strömt und durchmischt wird. Unter Nährstoffmangel werden die Plasmodien kompetent zur Sporulation (4), die Adern verdicken sich. Nach Gabe eines Lichtimpulses (5) beginnt die Zelle sich zu differenzieren. An den Adern bilden sich knotenartige Strukturen, die sich zu Sporangien entwickeln und die gesamte Zellmasse aufbrauchen. In den Sporangien findet die Meiose statt und es bilden sich Sporen. Bestimmte Mutanten durchlaufen den Zyklus (7) bei Temperaturen unter 30 °C apogam (asexuell, also ohne Zygotenbildung). Dies vereinfacht das Studium des Verhaltens von Zellen mit Mutationen.
Die Spezialisierung von Zellen von Physarum polycephalum ist ein nahezu perfektes Modell zur Analyse von Zelldifferenzierung:
- Zellen von P. polycephalum wachsen zu makroskopisch sichtbarer Größe heran, sogenannten Plasmodien. Obwohl diese Zellen viele Zellkerne besitzen, sind sowohl Genexpressionsmuster als auch Teilungsstatus in allen Zellkernen synchron.
- Es ist möglich, von einer Zelle Probenmaterial zu entnehmen, ohne die Zelldifferenzierung zu stören. Es können also während der Zelldifferenzierung viele Proben entnommen werden und Veränderungen quantitativ und zeitlich hochauflösend an Einzelzellen studiert werden.
- Verschiedene Stämme von P. polycephalum können gekreuzt werden, es können also Methoden der klassischen Genetik angewendet werden.
- Es können leicht Mutanten erzeugt werden. Hierdurch sind experimentelle Ansätze der reversen Genetik möglich.
- Zellen können fusioniert werden. Dies kann mit Zellen unterschiedlichen Genotyps oder unterschiedlichem Differenzierungsstatus erfolgen.
- Alle wichtigen Klassen von Signalproteinen, die in höheren Eukaryonten vorkommen, werden auch in P. polycephalum synthetisiert. Neue Erkenntnisse zur Regulation der Zelldifferenzierung bei P. polycephalum sollten also von generellem Interesse sein und weit über das Verständnis der Biologie von Einzellern hinausgehen.
Experimentelles Vorgehen / Methodik
- Genexpressionsanalysen von über 30 Genen gleichzeitig mit einer auf einer quantitativen Multiplex-RT-PCR beruhenden Methode
- Kartierung zur Lokalisation von Mutationen
- Transfektion/CRISPR zur Erzeugung gezielten Mutantenstämmen
- Speicherung der Messwerte in Datenbanken, Skript-gesteuerte Auswertung und graphische Aufbereitung der Messdaten