Welche Leistungsgrenzen hat unser Gehirn?

30.11.2020 -  

Welche neurobiologischen Prinzipien hindern uns Menschen daran, die eigenen kognitiven Fähigkeiten voll auszuschöpfen, wo liegen die Grenzen der Leistungsfähigkeit unseres Gehirns? Und: Wie können Einschränkungen, die im Alter oder bei der Alzheimer Krankheit vorkommen, vermindert werden? Für die Erforschung dieser zentralen Fragen hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg soeben 14 Millionen Euro für den Sonderforschungsbereich SFB 1436 „Neuronale Ressourcen der Kognition“ bewilligt.

Ab 1. Januar 2021 werden mehr als 40 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Standort Magdeburg und darüber hinaus in insgesamt 22 Einzelprojekten untersuchen, welches Potenzial das menschliche Gehirn hat und welche neurobiologischen Prozesse es daran hindern, es auszuschöpfen. Ziel ist es, in Zukunft Gedächtnisleistungen im Allgemeinen verbessern bzw. die Auswirkung von Störfaktoren und „versteckten“ Krankheitsprozessen verstehen und damit überwinden zu können sowie die Reservemechanismen, die dem Gehirn zur Verfügung stehen zu mobilisieren.

„Die Leistungsfähigkeit unseres Gedächtnisses, unseres Lernvermögens oder unserer Aufmerksamkeit wird durch die Architektur des Gehirns vorgegeben“, erläutert Prof. Dr. med. Emrah Düzel, Sprecher des SFB und Leiter des Instituts für Kognitive Neurologie und Demenzforschung an der Universität Magdeburg. „Innerhalb dieser Vorgaben gibt es aber eine große Variabilität und Möglichkeiten, individuelle Fähigkeiten durch Training zu verbessern. Wir wollen verstehen, welche neurobiologischen Prinzipien hier der Leistungssteigerung Grenzen setzen.“

Es gebe derzeit immer noch keine übergreifende Theorie zu den Kapazitäts- und Plastizitätsgrenzen des Gehirns, so der Co-Sprecher des SFB, Dr. Michael Kreutz, Arbeitsgruppenleiter am Leibniz-Institut für Neurobiologie Magdeburg. „Das ist ein Problem, weil wichtige biologische und medizinische Konzepte wie ‚Reserve‘ oder ‚Resilienz‘ von einer belastbaren Theorie und dazugehörigen experimentellen Daten abhängen.“ Das wiederum sei eine Voraussetzung, um individuell zugeschnittene Maßnahmen zur Prävention und Intervention von neurodegenerativen Erkrankungen zu entwickeln.

Unterschiedliche Fachrichtungen arbeiten an einem Ziel

„Dieser Sonderforschungsbereich ist ein großartiger Erfolg und sorgt für neue Schubkraft in der neurowissenschaftlichen Spitzenforschung am Standort Magdeburg“, betont Prof. Dr. Daniela C. Dieterich, Dekanin der Medizinischen Fakultät in Magdeburg. „Enormes Innovationspotenzial steckt in unserem Mix aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unterschiedlichster Fachrichtungen, die sich mit ihrer Expertise und ihrer Motivation diesem zukunftsrelevanten Thema stellen. Langfristiges Ziel ist dabei, mit Hilfe modernster Technologien und Verfahren schnell in die klinische Anwendung zu kommen und damit die Versorgung von Patientinnen und Patienten zu verbessern.“

Die interdisziplinären Teams am Standort Magdeburg vereinen Expertinnen und Experten aus den Gebieten der Neurowissenschaft, Medizin, Biologie, Pharmakologie, Physik und Psychologie. Die Forscherinnen und Forscher der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, des Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) und des Leibniz-Instituts für Neurobiologie Magdeburg (LIN) kooperieren darüber hinaus mit der Freien Universität Berlin, der Charitè Universitätsmedizin Berlin und den Universitäten Düsseldorf, Heidelberg und Göttingen.

„Wir müssen in die Lage kommen, einerseits die Beschaffenheit neuronaler Systeme auf unterschiedlichsten Skalen zu erfassen und andererseits diese durch Interventionen an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit zu bringen“, erklärt der Neurowissenschaftler Prof. Emrah Düzel das Vorhaben. „Dabei wollen wir untersuchen, ob die erzielte Leistungssteigerung flexibel nutzbar, also ‚transferierbar‘ ist oder etwa dazu führt, dass andere mentale Fähigkeiten gestört werden.“

Magdeburg ist idealer Standort für Neurowissenschaften

Um diese Herausforderungen zu meistern, sei eine innovative, einzigartige Infrastruktur und ein großes und breites Know-how von molekularen Mechanismen bis hin zu psychologischen und medizinischen Grundlagen höherer mentaler Funktionen erforderlich, so Prof. Düzel. „Durch die Förderung des Neurostandortes an der Universität, durch die außeruniversitären Einrichtungen DZNE und LIN und nicht zuletzt durch die Expertise ihrer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist die Universität Magdeburg in einer einzigartigen Position, dieses ehrgeizige Projekt zu stemmen. Magdeburg ist einer der wenigen Standorte weltweit, an dem diese Kombination gelingen kann.“ So sei Magdeburg unter anderem Pionier auf dem Feld der Ultrahochfeld-Bildgebung. Ausgestattet mit einem 7-Tesla-MRT und demnächst mit dem weltweit ersten 7-Tesla-Konnektom-MRT, kann am Standort die innerste Architektur des Gehirns und dessen Plastizität beim Menschen mit nie dagewesener Auflösung erfasst werden. Darüber hinaus erlaube hochauflösende Mikroskopie Einblicke in die Nanowelt von Synapsen und ein Forschungszyklotron die Darstellung molekularer Prozesse im menschlichen Gehirn. „Wir werden innerhalb des Sonderforschungsbereichs ein Portfolio von Techniken bereitstellen können, die es möglich machen, Gedächtnisspuren im Gehirn zu visualisieren.“

Sachsen-Anhalts Wissenschaftsminister Prof. Dr. Armin Willingmann erklärte: „Ich freue mich sehr über diesen großartigen Erfolg der Otto-von-Guericke-Universität, durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG rund 14 Millionen Euro für den Sonderforschungsbereich ‚Neuronale Ressourcen der Kognition‘ zu erhalten. Die Einwerbung dieser besonderen Forschungsförderung ist für die Universitätsmedizin in Magdeburg eine große Auszeichnung und belegt deren Exzellenz. Zugleich ermöglicht die Förderung weitere, ambitionierte Spitzenforschung und stärkt damit den Standort in Gänze.“

 

Bilder zum Download:

Bild 1 // Quelle: Sarah Rinke // Bildunterschrift: Prof. Dr. med. Emrah Düzel, Sprecher des neuen Sonderforschungsbereichs der Universität Magdeburg, Direktor des Instituts für Kognitive Neurologie und Demenzforschung.

Letzte Änderung: 30.11.2022 - Ansprechpartner: Katharina Vorwerk