Innovation auf Lehramt

19.12.2018 -  

Lehramtsstudierende sind nicht diejenigen, von denen technologische Innovationen erwartet werden. Ihr Ziel ist es, dem Nachwuchs erfolgreich die Grundlagen zu vermitteln. Oder? Jeden Donnerstag um 16:30 Uhr bringt die Lehramtsstudentin Anja Tomala in der Rötgerstraße in Magdeburg beides zusammen. Dort leitet sie das Schülerlabor „Guerickianum II“. Dabei verbindet sie nicht nur Lehramt mit Innovation, sondern auch Otto von Guericke mit Robotern. Ein Besuch.

Ein Besuch im Schülerlabor

Der Raum, in dem die 25-jährige Lehramtsstudentin Anja Tomala auf die Jungs ihrer „Robotics AG“ wartet, sieht nicht aus wie ein Labor, wo an moderner Technologie gebastelt wird. Ein großer, kühler Raum mit kleinen Fenstern wie im Souterrain: Schulbänke mit Anschlussleisten und Messskalen und ein Vitrinenschrank voller Messinstrumente, alles in Beige- und Brauntönen, erinnern an altmodischen Physikunterricht. Ein Flipchart sticht als modern hervor. Aber im hinteren Teil ist ein großflächiger, oben geöffneter Kasten wacklig aufgebockt. Mit jedem Schritt, den man näherkommt, kann man weiter über die Seitenwände in die Miniaturwelt sehen, die sich darin befindet: Auf einer grünen aufgemalten Wiese mit aufgemalten Flüssen und aufgemalten Nadelbäumen, stehen futuristisch anmutende Industriekomponenten, konstruiert aus LEGO und auch Roboter! Anja Tomala steht lächelnd neben der „LEGO Hydro Dynamics“-Miniaturwelt. Als die Teilnehmer nach und nach den Raum betreten, begrüßt die Lehramtsstudentin sie mit Namen, stellt kurz ein paar Fragen.

Während die Jungs ihre LEGO-Kästen aus den Schränken holen und sich vor Arbeitsbeginn einrichten, erzählt die Gruppenleiterin vom Projekt. Über das ohrenbetäubende Scheppern tausender kleiner Lego-Bausteine hinweg, in denen die Jungs nach dem richtigen Stück kramen, muss sie fast schreien: Seit drei Jahren leitet sie die Robotics AG in den Räumen der Otto-von-Guericke-Gesellschaft. Das „Guerickianum II“ bietet außerschulische Lern- und Arbeitsgruppen, die an technischen und naturwissenschaftlichen Projekten und Workshops arbeiten zum Beispiel an Robotertechnik mit LEGO. Es ergänzt das „Guerickianum I“, das vor allem ein Angebot an Schulklassen ist, die im Rahmen einer Unterrichtseinheit in das Otto-von-Guericke-Zentrum kommen und klassische physikalische Experimente durchführen zum Beispiel zu Vakuumtechnik und Luftdruckmessung. Als das „Guerickianum II“ in Kooperation mit der Universität gegründet wurde, wurden gezielt Lehramtsstudierende für die Leitung und Betreuung der AGs rekrutiert für ihre pädagogische Kompetenz, aber auch als Chance, sich zusätzlich zur universitären Lehre zu qualifizieren. Seitdem ist Anja Tomala dabei.

Ihre Fächerkombination ist Mathe und Technik. Sie schließt bald ihren Bachelor ab und wechselt voraussichtlich im Herbst reibungslos in den Master an der OVGU. Es scheint ihr die beste Lösung denn Technik auf Lehramt wird nicht überall angeboten. „Das Fach an sich gibt es ja auch nicht in jedem Bundesland“, sagt die gebürtige Sachsen-Anhalterin. Obwohl es so vielseitig ist. „Man bekommt alle Naturwissenschaften mit“, sagt die 25-Jährige.

Porträt Anja Tomala (c) Harald Krieg

Und nicht nur Naturwissenschaften. Die AG hat sich nach den individuellen Interessen geteilt in die „Baugruppe“ und die „Programmierer“. Zwei Jungs sitzen am Laptop: „‘If‘ heißt ‚falls‘! Du kannst doch Englisch! Falls das passiert, dann wird dies ausgeführt“, erklärt der 14-Jährige seinem Freund. Auf dem Bildschirm ist etwas angezeigt, das einem Zug mit vielen Waggons ähnelt, tatsächlich sind es Programmierungskomponenten. Sie basteln Schleifen nicht zum Geschenkeverpacken, sondern als Abfolgen von Befehlen, die kein Ende haben. Es sei denn, man befiehlt es ihnen. „Das lernt man in Informatik in der Schule als erstes“, sagt Anja Tomala, „und Schleifen sind auch das Wichtigste. Also das Wenn-dann-sonst-Prinzip.“

Zurzeit steht sie vor allem als Betreuung und für Fragen zur Verfügung. Die Jugendlichen arbeiten an eigenen Projekten. Sie nutzen das hochwertige Arbeitsmaterial, das ihnen hier zur Verfügung steht und konstruieren zum Beispiel einen fahrbaren Greifarm. Aber im Laufe des Jahres wird es wieder einen Forschungsauftrag geben. Den vergeben die Veranstalter der First Lego League (FLL). Im vergangenen Jahr hat die Gruppe die „LEGO Hydro Dynamics“-Miniaturwelt erstellt: Ein Wasserauffangbecken, einen Kran, eine Spülung und sogar eine Blumenbewässerung haben sie mit LEGO-Mindstorm-Sets gebaut. Schon Otto von Guericke hat sich die physikalischen Eigenschaften der Elemente zunutze gemacht zum Beispiel für ein Wasserbarometer. Die Aufgabe zur FLL wird strukturiert geplant und ausgeführt. Wer beim Wettkampf auf regionaler Ebene in Magdeburg innovative Ansätze präsentiert und elegante Konstruktionen austüftelt, hat die Chance, erfolgreich weiterzugehen. Aber bei der FLL und in der Robotics AG wird Teamwork größer geschrieben als ein Endprodukt, deshalb fließen vorbildliche Zusammenarbeit und Unterstützung als Faktor mit in die Endwertung ein. Dies kann Anja Tomala donnerstags fördern und beobachten.

Praktisch unterrichten lernen

Anders als beim Lehrpraktikum oder dem zukünftigen Referendariat, muss sie für die Robotics AG nicht jede Stunde vorbereiten oder über Lehrplänen und -material brüten. Es gibt keinen Frontalunterricht, sondern gemeinsames Arbeiten. Hier lernt sie die spezifischen Herausforderungen des praktisch angelegten Technik-Unterrichts kennen, sammelt Erfahrung in der zeitlichen Planung oder dem Erkennen und Steuern von Gruppendynamiken. Nachdem sich die Jungs so lautstark eingerichtet hatten, ist Ruhe eingekehrt. Konzentriert arbeiten sie und automatisch übermitteln sie jede Info im Flüsterton. Bis die zwei Gruppen sich wieder zusammenfinden und ihre Pläne vergleichen und koordinieren.

Aus kleinen Plastikstücken ist ein komplexer Aufbau geworden: Der fahrbare Untersatz erinnert als Kettenfahrzeug an Panzer und „Raupen“. Das Kernstück, der tatsächliche Arm, der flexibel und weit greifen soll, ist in der Mitte platziert. Die notwendigen, aber sperrigen Computermodule wurden platzsparend aufeinander verbaut lassen sich aber stufig nach hinten wegschieben wie beim Öffnen vieler Werkzeug- und Nähkästen. Das erlaubt den Blick auf die Displays und kann gleich­zeitig als Gegengewicht dienen, falls ein schwererer Gegenstand gegriffen wird. Für den Arm selbst hat die „Baugruppe“ mehrere Gelenke eingesetzt, sodass er flexibel in der Richtung ist, und zusätzliche Teile verbaut, die Stabilität gewährleisten.

Anja Tomala lässt das Team nebenbei über die Arbeitsschritte berichten und vollzieht nach, wie Aufgaben und Probleme angegangen werden und welche Wege und Lösungen sie auch in Zukunft Schülern mitgeben kann. In den 90 Minuten, die heute zur Verfügung standen, haben die Schüler die Konstruktion des Greifarms fertiggestellt. Die Programmierung läuft noch. Hannes aus der „Baugruppe“ erläutert seine Arbeitsstrategie so: „Das ist Überlegung, Fantasie und, wenn es nicht klappt einfach nochmal probieren.“

 

Julia Heundorf

Letzte Änderung: 09.07.2020 - Ansprechpartner: Webmaster