Methoden erarbeiten - Prozesse entwickeln - Krankheiten verstehen

Das Zusammenspiel der einzelnen „Player“ in komplexen dynamischen Systemen besser verstehen, ja sogar optimal gestalten zu können, haben sich Wissenschaftler vorgenommen, die gemeinsam im Forschungszentrum Dynamische Systeme  (CDS) forschen. Komplexe dynamische Systeme umgeben uns in allen Lebensbereichen sowohl in der Natur als auch in der Technik. Sie bestehen aus zahlreichen Komponenten, die nicht selten über mehrere Ebenen hinweg interagieren und von zahlreichen Faktoren beeinflusst werden. Die Wissenschaftler im CDS entwickeln Werkzeuge und Methoden für die Anwendung in der Prozess-, Bioprozess- und Energietechnik sowie Biomedizin. Wesentliches Kennzeichen ihrer Forschung ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit, die innovative theoretische und experimentelle Ansätze miteinander verbindet. Getragen wird das Center of Dynamic Systems als ein anerkannter OVGU-Forschungsschwerpunkt von der Universität und dem Max-Planck-Institut für Dynamik komplexer technischer Systeme (MPI) und vereint Forschungsgruppen mit ingenieurwissenschaftlichem, systemtheoretischem, mathematischem, medizinischem und biologischem Hintergrund.

Neun Forschungsgruppen aus den Bereichen Medizin, Biologie und Ingenieurwissenschaften zogen 2014 in den Forschungsneubau am Pfälzer Platz. Im Zentrum ihrer Arbeit in der, Ende des Jahres auslaufenden, 2. Förderperiode stehen vor allem zelluläre Systeme in Biomedizin und Bioprozess­technik sowie auch einige chemische Prozesse. In der Biomedizin kümmern sich die Wissenschaftler vor allen Dingen darum, ausgewählte Krankheiten besser zu verstehen und neue Wege zu deren gezielter Behandlung zu finden. In der Bioprozesstechnik werden neue Bioprozesse, beispielsweise zur Impfstoffproduktion in Zellkulturen oder bei der Herstellung von Biopolymeren – neuartige Kunststoffe –, entwickelt. Und dabei waren die Wissenschaftler sehr erfolgreich. So ist u. a. Prof. Dr. Sebastian Sager für sein Forschungsprojekt zur Personalisierten Medizin ein mit zwei Millionen Euro dotierter ERC Consolidator Grant bewilligt worden. Die neu eingerichtete Forschungsprofessur von Junior-Professor Dr. Steffen Waldherr war bei der Einwerbung von Drittmitteln erfolgreich: Mit einer Millionen Euro sollen neue Methoden zur Züchtung robuster biotechnologischer Mikroorganismen entwickelt werden.

Mathematische Modellierung, modellgestützte Analyse, Synthese sowie Regelung und Steuerung komplexer dynamischer Systeme wie auch der systemische Zugang oder die gezielte Intervention und Optimierung lassen sich weitaus breiter einsetzen und sind keinesfalls auf biologische Systeme beschränkt. Deshalb sollen künftig neben diesen auch verstärkt Energiesysteme und chemische Produktionssysteme in die wissenschaftliche Arbeit mit einbezogen werden. Dadurch werden sich, so hoffen die Forscher, zahlreiche neue Kooperationsmöglichkeiten mit Industriepartnern in Sachsen-Anhalt und darüber hinaus ergeben, die den Wissens- und Technologietransfer in die industrielle Anwendung unterstützen. Mit dieser inhaltlichen Erweiterung des Forschungszentrums Dyna­mische Systeme wird aus dem Namenszusatz „Biosystemtechnik“ „Systems Engineering“.

Womit beschäftigen sich nun die hinzukommenden Forschungsgebiete? Zunehmend spielen nachwachsende Rohstoffe als Ausgangsbasis für eine nachhaltige Chemieproduktion eine immer wichtigere Rolle, da Erdöl und Erdgas, auf denen heute noch die meisten chemischen Produktionsprozesse basieren, immer teurer werden und nur noch begrenzt verfügbar sind. Auch neuartige biotechnologische Produktionsverfahren stehen auf dem Plan der Forscher, um hochwertige Kunststoffe, sogenannte Biopolymere – biologisch abbaubar und biokompatibel –, zu erhalten. Die gestiegene Komplexität solcher Produktionssysteme macht neue Methodiken des computergestützten Systementwurfs unabdingbar.

Fragen der Energiespeicherung stehen im Mittelpunkt des Interesses der Forscher im Bereich Energiewandlung. Hauptsächlich geht es dabei um die effektive Verwendung überschüssiger elektrischer Energie aus regenerativer Energieerzeugung, beispielsweise aus Windkraft oder Biogas. So beschäftigen sich die Wissenschaftler u. a. mit der chemischen Umwandlung zu Wasserstoff, Methan, Methanol oder Dimethylether als Diesel-Ersatzkraftstoff. Welche Zielprodukte und welche Syntheswege am profitabelsten sind, ist von ganz unterschiedlichen Faktoren wie der Verfügbarkeit von Wind oder den Energiemärkten beeinflusst. Von zentraler Bedeutung sind deshalb fundierte rechnergestützte Methoden des Systementwurfs und des Anlagebetriebs, die diesen unsicheren Faktoren Rechnung tragen.

Die Entwicklung personalisierter Therapien und passgenauer Wirkstoffe für die Präzisionsmedizin sind Themenstellungen für die Forschung im Bereich Biomedizinische Systeme. Dafür wurde die Forschungsprofessur ‚Translationale Entzündungsforschung‘ eingerichtet. Die komplexen Zusammenhänge, die chronisch-entzündlichen Krankheiten zu Grunde liegen sind nur durch interdisziplinäre Forschungsansätze, die über das Arbeitsgebiet der Biomedizin hinausgehen, abzubilden. Die grundlagenorientierte Forschungsprofessur ‚Translationale Entzündungen‘ im CDS baut die Brücke zum klinisch ausgerichteten Gesundheitscampus „Immunologie, Infektiologie und Inflammation“ der Medizinischen Fakultät. Im Zentrum des Interesses steht hier die Entschlüsselung der molekularen Mechanismen der zellulären Kommunikation im Immunsystem sowohl im gesunden Organismus als auch im Rahmen akuter und chronisch-entzündlicher Erkrankungen und darauf aufbauend, die Entwicklung neuer Therapien für die Patienten.

Nicht nur die Forschung, auch die Ausbildung hat im Forschungszentrum Dynamische Systeme ihren festen Platz. Das CDS denkt nicht nur an die Förderung seiner Forschungsschwerpunkte. Auch die Ausbildung und die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses spielt eine wichtige Rolle. Es hat maßgeblichen Anteil an der Konzeption und Einrichtung mehrerer Studiengänge: ‚Biosystemtechnik‘ sowie ‚Systemtechnik und Technische Kybernetik‘ im Bachelor und Master sowie ‚Molekulare Biosysteme‘ und ‚Immunologie‘ im Master. Aufgebaut wurden fünf Max-Planck-Nachwuchsgruppen, in denen junge Wissenschaftler eigene Projekte bearbeiten und die International Max-Planck Research School, getragen von der Universität und dem Max-Planck-Institut, wurde positiv evaluiert und bis 2019 verlängert.

Von Ines Perl

Letzte Änderung: 09.07.2020 - Ansprechpartner: Ines Perl